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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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ging nie froh von ihr. Was wollte diese Frau?
Jetzt eine Philosophin, die das Firmament durch¬
dringen will nach dem Ewigen; jetzt schien ihre Brust
sich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Frei¬
heit, für die Heroen der Menschheit. Fand sie eine
Schranke, eine eiserne Wand, vor der sie zurücksank
nach verzehrendem Kampf? -- Nein, ihre Flügel
schienen schon erlahmt, wenn die Zuschauer fort¬
sahen. Und dann wie das Vogelgeschlecht, das auch
Flügel hat, aber nie in die Wolken sich erhebt, flat¬
terte sie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem
andern Drang als dem der Gefallsucht. Tausende,
die nach dem Interessantsein haschen, zufrieden, wenn
irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, sei es
auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner
Fuß, ihr feines Whistspiel. Wo blieb sie denn
stehen, woran hielt sie sich? fragte er sich. Wäre sie
sich selbst genug? Auch die Vorstellung, von Allen
verkannt zu sein, es ist eine bittere Wollust, aber sie
mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls
eine Säulenheilige klettert und in schwindelndem
Stolz auf das Gewühl herabsieht.

Aber -- nein, dazu pulste ihr Blut zu ruhig.
Der holde Wahnsinn spielte nicht um ihre Schläfe, sie,
jeden Augenblick die sich bewußte Beherrscherin ihrer
Worte, ihrer Mienen. Wußte sie ja sogar, daß sie
den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Lieb¬
kosungen erschraken. Gefühlvolle erkältete ihr Ge¬
spräch, Geistreiche fühlten sich gelähmt. Nur ganz

ging nie froh von ihr. Was wollte dieſe Frau?
Jetzt eine Philoſophin, die das Firmament durch¬
dringen will nach dem Ewigen; jetzt ſchien ihre Bruſt
ſich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Frei¬
heit, für die Heroen der Menſchheit. Fand ſie eine
Schranke, eine eiſerne Wand, vor der ſie zurückſank
nach verzehrendem Kampf? — Nein, ihre Flügel
ſchienen ſchon erlahmt, wenn die Zuſchauer fort¬
ſahen. Und dann wie das Vogelgeſchlecht, das auch
Flügel hat, aber nie in die Wolken ſich erhebt, flat¬
terte ſie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem
andern Drang als dem der Gefallſucht. Tauſende,
die nach dem Intereſſantſein haſchen, zufrieden, wenn
irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, ſei es
auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner
Fuß, ihr feines Whiſtſpiel. Wo blieb ſie denn
ſtehen, woran hielt ſie ſich? fragte er ſich. Wäre ſie
ſich ſelbſt genug? Auch die Vorſtellung, von Allen
verkannt zu ſein, es iſt eine bittere Wolluſt, aber ſie
mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls
eine Säulenheilige klettert und in ſchwindelndem
Stolz auf das Gewühl herabſieht.

Aber — nein, dazu pulſte ihr Blut zu ruhig.
Der holde Wahnſinn ſpielte nicht um ihre Schläfe, ſie,
jeden Augenblick die ſich bewußte Beherrſcherin ihrer
Worte, ihrer Mienen. Wußte ſie ja ſogar, daß ſie
den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Lieb¬
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[218/0228] ging nie froh von ihr. Was wollte dieſe Frau? Jetzt eine Philoſophin, die das Firmament durch¬ dringen will nach dem Ewigen; jetzt ſchien ihre Bruſt ſich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Frei¬ heit, für die Heroen der Menſchheit. Fand ſie eine Schranke, eine eiſerne Wand, vor der ſie zurückſank nach verzehrendem Kampf? — Nein, ihre Flügel ſchienen ſchon erlahmt, wenn die Zuſchauer fort¬ ſahen. Und dann wie das Vogelgeſchlecht, das auch Flügel hat, aber nie in die Wolken ſich erhebt, flat¬ terte ſie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem andern Drang als dem der Gefallſucht. Tauſende, die nach dem Intereſſantſein haſchen, zufrieden, wenn irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, ſei es auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner Fuß, ihr feines Whiſtſpiel. Wo blieb ſie denn ſtehen, woran hielt ſie ſich? fragte er ſich. Wäre ſie ſich ſelbſt genug? Auch die Vorſtellung, von Allen verkannt zu ſein, es iſt eine bittere Wolluſt, aber ſie mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls eine Säulenheilige klettert und in ſchwindelndem Stolz auf das Gewühl herabſieht. Aber — nein, dazu pulſte ihr Blut zu ruhig. Der holde Wahnſinn ſpielte nicht um ihre Schläfe, ſie, jeden Augenblick die ſich bewußte Beherrſcherin ihrer Worte, ihrer Mienen. Wußte ſie ja ſogar, daß ſie den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Lieb¬ koſungen erſchraken. Gefühlvolle erkältete ihr Ge¬ ſpräch, Geiſtreiche fühlten ſich gelähmt. Nur ganz

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/228>, abgerufen am 27.04.2024.