Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Gesicht kam ihm heut besonders spitz vor. Sie
schielte ja. Fiel nicht ihr Blick seitwärts über die ganze
Straße? Wie kam ihm die Vorstellung von einem
Brennglas, das in der Ferne zünden soll? Er hatte
niemals Zuneigung für sie empfunden. Er hatte sich
ehemals selbst darum getadelt, denn er glaubte, es
sei nur die Abneigung, welche kluge Männer so oft
gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus
Eifersucht. Er hatte diese Gefühle damals bekämpft,
er hatte sich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine
Frau, die sie ihm selbst gezeigt und später seinen
Dank beanspruchte. Sie hatte seine Geliebte gerettet.

Das war längst Vergangenes. Er erröthete so¬
gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬
gegengekommen war. Junge Männer, wenn sie eines
unpassenden Benehmens sich erinnern, gäben im Au¬
genblick dieses Unbehagens einen Theil ihres Lebens
darum, die Erinnerung auszulöschen. Was ging
ihn jetzt die Lupinus an? Und doch stand ihr vol¬
les Bild vor seiner Seele; das, welches im Spiegel
sich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein
Metall aufnimmt. -- Wie oft hatte er im Gespräch
über ernste wissenschaftliche Gegenstände die Schärfe
ihres Verstandes, ihre Phantasie im Combiniren be¬
wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier
gleich darauf die Anschauung überzog, eine ätzende
Substanz, welche die eben noch blühenden Farben
verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blasser Kupfer¬
stich. Er war nie erhoben durch ihr Gespräch, er

Das Geſicht kam ihm heut beſonders ſpitz vor. Sie
ſchielte ja. Fiel nicht ihr Blick ſeitwärts über die ganze
Straße? Wie kam ihm die Vorſtellung von einem
Brennglas, das in der Ferne zünden ſoll? Er hatte
niemals Zuneigung für ſie empfunden. Er hatte ſich
ehemals ſelbſt darum getadelt, denn er glaubte, es
ſei nur die Abneigung, welche kluge Männer ſo oft
gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus
Eiferſucht. Er hatte dieſe Gefühle damals bekämpft,
er hatte ſich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine
Frau, die ſie ihm ſelbſt gezeigt und ſpäter ſeinen
Dank beanſpruchte. Sie hatte ſeine Geliebte gerettet.

Das war längſt Vergangenes. Er erröthete ſo¬
gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬
gegengekommen war. Junge Männer, wenn ſie eines
unpaſſenden Benehmens ſich erinnern, gäben im Au¬
genblick dieſes Unbehagens einen Theil ihres Lebens
darum, die Erinnerung auszulöſchen. Was ging
ihn jetzt die Lupinus an? Und doch ſtand ihr vol¬
les Bild vor ſeiner Seele; das, welches im Spiegel
ſich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein
Metall aufnimmt. — Wie oft hatte er im Geſpräch
über ernſte wiſſenſchaftliche Gegenſtände die Schärfe
ihres Verſtandes, ihre Phantaſie im Combiniren be¬
wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier
gleich darauf die Anſchauung überzog, eine ätzende
Subſtanz, welche die eben noch blühenden Farben
verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blaſſer Kupfer¬
ſtich. Er war nie erhoben durch ihr Geſpräch, er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="217"/>
Das Ge&#x017F;icht kam ihm heut be&#x017F;onders &#x017F;pitz vor. Sie<lb/>
&#x017F;chielte ja. Fiel nicht ihr Blick &#x017F;eitwärts über die ganze<lb/>
Straße? Wie kam ihm die Vor&#x017F;tellung von einem<lb/>
Brennglas, das in der Ferne zünden &#x017F;oll? Er hatte<lb/>
niemals Zuneigung für &#x017F;ie empfunden. Er hatte &#x017F;ich<lb/>
ehemals &#x017F;elb&#x017F;t darum getadelt, denn er glaubte, es<lb/>
&#x017F;ei nur die Abneigung, welche kluge Männer &#x017F;o oft<lb/>
gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus<lb/>
Eifer&#x017F;ucht. Er hatte die&#x017F;e Gefühle damals bekämpft,<lb/>
er hatte &#x017F;ich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine<lb/>
Frau, die &#x017F;ie ihm &#x017F;elb&#x017F;t gezeigt und &#x017F;päter &#x017F;einen<lb/>
Dank bean&#x017F;pruchte. Sie hatte &#x017F;eine Geliebte gerettet.</p><lb/>
        <p>Das war läng&#x017F;t Vergangenes. Er erröthete &#x017F;<lb/>
gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬<lb/>
gegengekommen war. Junge Männer, wenn &#x017F;ie eines<lb/>
unpa&#x017F;&#x017F;enden Benehmens &#x017F;ich erinnern, gäben im Au¬<lb/>
genblick die&#x017F;es Unbehagens einen Theil ihres Lebens<lb/>
darum, die Erinnerung auszulö&#x017F;chen. Was ging<lb/>
ihn jetzt die Lupinus an? Und doch &#x017F;tand ihr vol¬<lb/>
les Bild vor &#x017F;einer Seele; das, welches im Spiegel<lb/>
&#x017F;ich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein<lb/>
Metall aufnimmt. &#x2014; Wie oft hatte er im Ge&#x017F;präch<lb/>
über ern&#x017F;te wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Gegen&#x017F;tände die Schärfe<lb/>
ihres Ver&#x017F;tandes, ihre Phanta&#x017F;ie im Combiniren be¬<lb/>
wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier<lb/>
gleich darauf die An&#x017F;chauung überzog, eine ätzende<lb/>
Sub&#x017F;tanz, welche die eben noch blühenden Farben<lb/>
verzehrte; aus dem Gemälde ward ein bla&#x017F;&#x017F;er Kupfer¬<lb/>
&#x017F;tich. Er war nie erhoben durch ihr Ge&#x017F;präch, er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0227] Das Geſicht kam ihm heut beſonders ſpitz vor. Sie ſchielte ja. Fiel nicht ihr Blick ſeitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorſtellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden ſoll? Er hatte niemals Zuneigung für ſie empfunden. Er hatte ſich ehemals ſelbſt darum getadelt, denn er glaubte, es ſei nur die Abneigung, welche kluge Männer ſo oft gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus Eiferſucht. Er hatte dieſe Gefühle damals bekämpft, er hatte ſich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine Frau, die ſie ihm ſelbſt gezeigt und ſpäter ſeinen Dank beanſpruchte. Sie hatte ſeine Geliebte gerettet. Das war längſt Vergangenes. Er erröthete ſo¬ gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬ gegengekommen war. Junge Männer, wenn ſie eines unpaſſenden Benehmens ſich erinnern, gäben im Au¬ genblick dieſes Unbehagens einen Theil ihres Lebens darum, die Erinnerung auszulöſchen. Was ging ihn jetzt die Lupinus an? Und doch ſtand ihr vol¬ les Bild vor ſeiner Seele; das, welches im Spiegel ſich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein Metall aufnimmt. — Wie oft hatte er im Geſpräch über ernſte wiſſenſchaftliche Gegenſtände die Schärfe ihres Verſtandes, ihre Phantaſie im Combiniren be¬ wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anſchauung überzog, eine ätzende Subſtanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blaſſer Kupfer¬ ſtich. Er war nie erhoben durch ihr Geſpräch, er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/227
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/227>, abgerufen am 22.11.2024.