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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Beschränkte waren durch ihr Wohlwollen geschmeichelt,
nur solche geriethen in Entzückungen über ihren Geist,
die von ihr sich heben und tragen lassen wollten, und
auch diese nur so lange, bis sie ihrer nicht mehr be¬
durften. Und auch das wußte die Unglückselige!
Wohin er blickte, was sie gelten wollte, sie erreichte
es nicht. Schwärmte sie für Napoleon, studirte sie
Plato, begeisterte sie Fichte, erglühte sie für die
Schönheitsformen des Alterthums, war sie plötzlich
von patriotischen Gefühlen für die Ehre des Vater¬
landes erweckt, war sie die liebevolle Pflegerin des
kränklichen Gatten? Nichts von alledem! Walter
hatte mathematische Beweise dafür.

Sie schloß jetzt wieder die Jalousieen. Die spitzen
Finger der magern Hand waren noch sichtbar, wie
sie sich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel
zu befestigen. Es gelang nicht so schnell. Das Spiel
der einsamen Hand hatte etwas Unheimliches für
Walter. Was wird sie nun drinnen in der dunkeln Stube
anfangen? Handarbeiten? Sie nahm sie nur vor,
wenn Fremde da waren, gewisse angefangene Stücke,
die er gut kannte, Stickereien, Nähtereien, die aber
nie fertig wurden. Würde sie sich an's Bett des
Kranken setzen, den Schweiß von seiner Stirne
wischen, seine magere Hand liebevoll streicheln? Er
glaubte durch die Mauer zu sehen, daß sie es nicht
that. Er hätte eine Wette darauf gewagt, daß sie
mit Schaudern vom Kranken sich abwandte. Vielleicht
ergriff sie eine Lectüre? -- Was sollte sie lesen?

Beſchränkte waren durch ihr Wohlwollen geſchmeichelt,
nur ſolche geriethen in Entzückungen über ihren Geiſt,
die von ihr ſich heben und tragen laſſen wollten, und
auch dieſe nur ſo lange, bis ſie ihrer nicht mehr be¬
durften. Und auch das wußte die Unglückſelige!
Wohin er blickte, was ſie gelten wollte, ſie erreichte
es nicht. Schwärmte ſie für Napoleon, ſtudirte ſie
Plato, begeiſterte ſie Fichte, erglühte ſie für die
Schönheitsformen des Alterthums, war ſie plötzlich
von patriotiſchen Gefühlen für die Ehre des Vater¬
landes erweckt, war ſie die liebevolle Pflegerin des
kränklichen Gatten? Nichts von alledem! Walter
hatte mathematiſche Beweiſe dafür.

Sie ſchloß jetzt wieder die Jalouſieen. Die ſpitzen
Finger der magern Hand waren noch ſichtbar, wie
ſie ſich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel
zu befeſtigen. Es gelang nicht ſo ſchnell. Das Spiel
der einſamen Hand hatte etwas Unheimliches für
Walter. Was wird ſie nun drinnen in der dunkeln Stube
anfangen? Handarbeiten? Sie nahm ſie nur vor,
wenn Fremde da waren, gewiſſe angefangene Stücke,
die er gut kannte, Stickereien, Nähtereien, die aber
nie fertig wurden. Würde ſie ſich an's Bett des
Kranken ſetzen, den Schweiß von ſeiner Stirne
wiſchen, ſeine magere Hand liebevoll ſtreicheln? Er
glaubte durch die Mauer zu ſehen, daß ſie es nicht
that. Er hätte eine Wette darauf gewagt, daß ſie
mit Schaudern vom Kranken ſich abwandte. Vielleicht
ergriff ſie eine Lectüre? — Was ſollte ſie leſen?

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[219/0229] Beſchränkte waren durch ihr Wohlwollen geſchmeichelt, nur ſolche geriethen in Entzückungen über ihren Geiſt, die von ihr ſich heben und tragen laſſen wollten, und auch dieſe nur ſo lange, bis ſie ihrer nicht mehr be¬ durften. Und auch das wußte die Unglückſelige! Wohin er blickte, was ſie gelten wollte, ſie erreichte es nicht. Schwärmte ſie für Napoleon, ſtudirte ſie Plato, begeiſterte ſie Fichte, erglühte ſie für die Schönheitsformen des Alterthums, war ſie plötzlich von patriotiſchen Gefühlen für die Ehre des Vater¬ landes erweckt, war ſie die liebevolle Pflegerin des kränklichen Gatten? Nichts von alledem! Walter hatte mathematiſche Beweiſe dafür. Sie ſchloß jetzt wieder die Jalouſieen. Die ſpitzen Finger der magern Hand waren noch ſichtbar, wie ſie ſich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel zu befeſtigen. Es gelang nicht ſo ſchnell. Das Spiel der einſamen Hand hatte etwas Unheimliches für Walter. Was wird ſie nun drinnen in der dunkeln Stube anfangen? Handarbeiten? Sie nahm ſie nur vor, wenn Fremde da waren, gewiſſe angefangene Stücke, die er gut kannte, Stickereien, Nähtereien, die aber nie fertig wurden. Würde ſie ſich an's Bett des Kranken ſetzen, den Schweiß von ſeiner Stirne wiſchen, ſeine magere Hand liebevoll ſtreicheln? Er glaubte durch die Mauer zu ſehen, daß ſie es nicht that. Er hätte eine Wette darauf gewagt, daß ſie mit Schaudern vom Kranken ſich abwandte. Vielleicht ergriff ſie eine Lectüre? — Was ſollte ſie leſen?

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/229>, abgerufen am 22.11.2024.