Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nehmen, daß er sich bei Hofjägers an einen aparten
Tisch setzen müsse. Aber in der Noth hört solche
Distinction auf. Während der Mann zurückkeuchte,
so hastig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er
jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der
Auftritt schon eine andre Physiognomie angenommen.
Fritz war von den Schwestern animirt worden. Daß
einer der Straßenjungen sich dicht vor sie gestellt
und die Zunge "geblökt," durfte er doch nicht dul¬
den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz
auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald
unter ihm liegen würde. Da war es eben so natür¬
lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬
rohr darunter sprang. Es war auch nicht mehr Ge¬
schrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein
Aufgebot nannte, es war das nächste daran. Vor¬
übergehende standen schon, wie es sich schickt, entwe¬
der still, oder nahmen Theil, als ein Einspänner um
die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte.

Es waren anständige Leute auf dem Wagen, der
Herr Hoflackirer und seine Frau mit ihrer Cousine
Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein
Geheimniß blieb. Anständige Leute flößen Achtung ein,
besonders, wenn sie Wagen und Pferde haben. An¬
ständig will Jeder sein. Der Herr Hoflackirer hatte
aber seinen Rock geknöpft und trug seinen Hut wie
ein vornehmer Mann, auch kutschirte er selbst, und
das Gestränge glänzte, wenn auch nicht von Silber,
doch von etwas, was wie Silber aussah. Hätte er

nehmen, daß er ſich bei Hofjägers an einen aparten
Tiſch ſetzen müſſe. Aber in der Noth hört ſolche
Diſtinction auf. Während der Mann zurückkeuchte,
ſo haſtig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er
jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der
Auftritt ſchon eine andre Phyſiognomie angenommen.
Fritz war von den Schweſtern animirt worden. Daß
einer der Straßenjungen ſich dicht vor ſie geſtellt
und die Zunge „geblökt,“ durfte er doch nicht dul¬
den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz
auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald
unter ihm liegen würde. Da war es eben ſo natür¬
lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬
rohr darunter ſprang. Es war auch nicht mehr Ge¬
ſchrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein
Aufgebot nannte, es war das nächſte daran. Vor¬
übergehende ſtanden ſchon, wie es ſich ſchickt, entwe¬
der ſtill, oder nahmen Theil, als ein Einſpänner um
die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte.

Es waren anſtändige Leute auf dem Wagen, der
Herr Hoflackirer und ſeine Frau mit ihrer Couſine
Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein
Geheimniß blieb. Anſtändige Leute flößen Achtung ein,
beſonders, wenn ſie Wagen und Pferde haben. An¬
ſtändig will Jeder ſein. Der Herr Hoflackirer hatte
aber ſeinen Rock geknöpft und trug ſeinen Hut wie
ein vornehmer Mann, auch kutſchirte er ſelbſt, und
das Geſtränge glänzte, wenn auch nicht von Silber,
doch von etwas, was wie Silber ausſah. Hätte er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="198"/>
nehmen, daß er &#x017F;ich bei Hofjägers an einen aparten<lb/>
Ti&#x017F;ch &#x017F;etzen mü&#x017F;&#x017F;e. Aber in der Noth hört &#x017F;olche<lb/>
Di&#x017F;tinction auf. Während der Mann zurückkeuchte,<lb/>
&#x017F;o ha&#x017F;tig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er<lb/>
jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der<lb/>
Auftritt &#x017F;chon eine andre Phy&#x017F;iognomie angenommen.<lb/>
Fritz war von den Schwe&#x017F;tern animirt worden. Daß<lb/>
einer der Straßenjungen &#x017F;ich dicht vor &#x017F;ie ge&#x017F;tellt<lb/>
und die Zunge &#x201E;geblökt,&#x201C; durfte er doch nicht dul¬<lb/>
den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz<lb/>
auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald<lb/>
unter ihm liegen würde. Da war es eben &#x017F;o natür¬<lb/>
lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬<lb/>
rohr darunter &#x017F;prang. Es war auch nicht mehr Ge¬<lb/>
&#x017F;chrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein<lb/>
Aufgebot nannte, es war das näch&#x017F;te daran. Vor¬<lb/>
übergehende &#x017F;tanden &#x017F;chon, wie es &#x017F;ich &#x017F;chickt, entwe¬<lb/>
der &#x017F;till, oder nahmen Theil, als ein Ein&#x017F;pänner um<lb/>
die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte.</p><lb/>
        <p>Es waren an&#x017F;tändige Leute auf dem Wagen, der<lb/>
Herr Hoflackirer und &#x017F;eine Frau mit ihrer Cou&#x017F;ine<lb/>
Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein<lb/>
Geheimniß blieb. An&#x017F;tändige Leute flößen Achtung ein,<lb/>
be&#x017F;onders, wenn &#x017F;ie Wagen und Pferde haben. An¬<lb/>
&#x017F;tändig will Jeder &#x017F;ein. Der Herr Hoflackirer hatte<lb/>
aber &#x017F;einen Rock geknöpft und trug &#x017F;einen Hut wie<lb/>
ein vornehmer Mann, auch kut&#x017F;chirte er &#x017F;elb&#x017F;t, und<lb/>
das Ge&#x017F;tränge glänzte, wenn auch nicht von Silber,<lb/>
doch von etwas, was wie Silber aus&#x017F;ah. Hätte er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0208] nehmen, daß er ſich bei Hofjägers an einen aparten Tiſch ſetzen müſſe. Aber in der Noth hört ſolche Diſtinction auf. Während der Mann zurückkeuchte, ſo haſtig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der Auftritt ſchon eine andre Phyſiognomie angenommen. Fritz war von den Schweſtern animirt worden. Daß einer der Straßenjungen ſich dicht vor ſie geſtellt und die Zunge „geblökt,“ durfte er doch nicht dul¬ den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald unter ihm liegen würde. Da war es eben ſo natür¬ lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬ rohr darunter ſprang. Es war auch nicht mehr Ge¬ ſchrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein Aufgebot nannte, es war das nächſte daran. Vor¬ übergehende ſtanden ſchon, wie es ſich ſchickt, entwe¬ der ſtill, oder nahmen Theil, als ein Einſpänner um die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte. Es waren anſtändige Leute auf dem Wagen, der Herr Hoflackirer und ſeine Frau mit ihrer Couſine Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein Geheimniß blieb. Anſtändige Leute flößen Achtung ein, beſonders, wenn ſie Wagen und Pferde haben. An¬ ſtändig will Jeder ſein. Der Herr Hoflackirer hatte aber ſeinen Rock geknöpft und trug ſeinen Hut wie ein vornehmer Mann, auch kutſchirte er ſelbſt, und das Geſtränge glänzte, wenn auch nicht von Silber, doch von etwas, was wie Silber ausſah. Hätte er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/208
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/208>, abgerufen am 28.04.2024.