gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz schuldig bin. Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu werden, wie der Minister ein Recht hat, vor mir gerechtfertigt zu stehen, und wäre ich die unterste menschliche Creatur in diesem Staate."
Der Freiherr sah ihn über die Schulter an:
"Im Mundwerk ein Virtuos wie im Stil; aber ich liebe nicht Virtuosen, ich will Charaktere. Was haben Sie vorzubringen? Kurz!"
"Daß hier ein Mißverständniß sein muß."
"Es ist Alles klar. Mit abgeschriebenen Ge¬ danken wollen Sie sich brüsten. Gehn Sie zu andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Ge¬ fallen thun und Sie vergessen. Verstanden? Ganz vergessen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber, junger Mann, wem es ernst ist um das Vaterland, und wo es sich handelt um seine heiligsten In¬ teressen, da dulde ich keine Escroquerie."
Es war nicht mehr die Gluth der Entrüstung und des Zornes, es war eine lösende Wärme, welche unsern Bekannten aus seiner Erstarrung in's Leben rief. Hier war ein Mißverständniß. Er fühlte sich so muthig wie je. Der Minister, der, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und schon die Thüre in der Hand hielt, hörte den entschiedenen Tritt des Andern hinter sich, er hörte ein Halt ihm zurufen! Vielleicht wäre der Dreiste ihm in's andere Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn
gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz ſchuldig bin. Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu werden, wie der Miniſter ein Recht hat, vor mir gerechtfertigt zu ſtehen, und wäre ich die unterſte menſchliche Creatur in dieſem Staate.“
Der Freiherr ſah ihn über die Schulter an:
„Im Mundwerk ein Virtuos wie im Stil; aber ich liebe nicht Virtuoſen, ich will Charaktere. Was haben Sie vorzubringen? Kurz!“
„Daß hier ein Mißverſtändniß ſein muß.“
„Es iſt Alles klar. Mit abgeſchriebenen Ge¬ danken wollen Sie ſich brüſten. Gehn Sie zu andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Ge¬ fallen thun und Sie vergeſſen. Verſtanden? Ganz vergeſſen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber, junger Mann, wem es ernſt iſt um das Vaterland, und wo es ſich handelt um ſeine heiligſten In¬ tereſſen, da dulde ich keine Escroquerie.“
Es war nicht mehr die Gluth der Entrüſtung und des Zornes, es war eine löſende Wärme, welche unſern Bekannten aus ſeiner Erſtarrung in's Leben rief. Hier war ein Mißverſtändniß. Er fühlte ſich ſo muthig wie je. Der Miniſter, der, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und ſchon die Thüre in der Hand hielt, hörte den entſchiedenen Tritt des Andern hinter ſich, er hörte ein Halt ihm zurufen! Vielleicht wäre der Dreiſte ihm in's andere Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn
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gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz ſchuldig bin.
Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu
werden, wie der Miniſter ein Recht hat, vor mir
gerechtfertigt zu ſtehen, und wäre ich die unterſte
menſchliche Creatur in dieſem Staate.“
Der Freiherr ſah ihn über die Schulter an:
„Im Mundwerk ein Virtuos wie im Stil; aber
ich liebe nicht Virtuoſen, ich will Charaktere. Was
haben Sie vorzubringen? Kurz!“
„Daß hier ein Mißverſtändniß ſein muß.“
„Es iſt Alles klar. Mit abgeſchriebenen Ge¬
danken wollen Sie ſich brüſten. Gehn Sie zu
andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Ge¬
fallen thun und Sie vergeſſen. Verſtanden? Ganz
vergeſſen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber,
junger Mann, wem es ernſt iſt um das Vaterland,
und wo es ſich handelt um ſeine heiligſten In¬
tereſſen, da dulde ich keine Escroquerie.“
Es war nicht mehr die Gluth der Entrüſtung
und des Zornes, es war eine löſende Wärme, welche
unſern Bekannten aus ſeiner Erſtarrung in's Leben
rief. Hier war ein Mißverſtändniß. Er fühlte ſich
ſo muthig wie je. Der Miniſter, der, ohne ihn noch
eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und ſchon
die Thüre in der Hand hielt, hörte den entſchiedenen
Tritt des Andern hinter ſich, er hörte ein Halt ihm
zurufen! Vielleicht wäre der Dreiſte ihm in's andere
Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle
Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/194>, abgerufen am 23.11.2024.
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