"Prätendire ich, ein St. Germain zu sein! Aber der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine Dame, deren Verstand in so anderen höheren Re¬ gionen schweift, würde sich nie zu einer mesquinen Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber nennen wir die Sache bei ihrem Namen und man muß seine Menschen kennen. Ich hätte nicht einmal gewagt, ihr von der Sache zu sprechen. Meine Herren, ich wiederhole es, Sie kennen diese seltene Frau nicht."
"Holla! Also offen ausgesprochen Ihr Ritter. Und uns den Handschuh hingeworfen! Kennen Sie sie denn?"
Nach einigem Schweigen antwortete Wandel: "Nein! -- Es giebt Erscheinungen, wo der Augen¬ aufschlag die Seele uns erschließt, andere, wo der geschickteste Psychologe sein Senkblei umsonst ge¬ braucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus so zarten, ätherischen Fasern zusammengesetzt ist, daß die leiseste Berührung unharmonischer Töne es zu¬ sammenschrecken macht; und hinwiederum ist es von einer Elasticität, daß ein rauher Anstoß diese Fühl¬ fäden zu hartem Stahl verwandelt."
"Lassen Sie sich nicht erdrücken von dem Stahl. Heim sagte mal, in der Frau wäre eine cachirte Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts, aber das Cachirte liebe ich nicht."
"Diese rohen Aerzte, die die Schwungfedern der Seele nur empirisch betasten! Da wollen sie ihren
„Prätendire ich, ein St. Germain zu ſein! Aber der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine Dame, deren Verſtand in ſo anderen höheren Re¬ gionen ſchweift, würde ſich nie zu einer mesquinen Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber nennen wir die Sache bei ihrem Namen und man muß ſeine Menſchen kennen. Ich hätte nicht einmal gewagt, ihr von der Sache zu ſprechen. Meine Herren, ich wiederhole es, Sie kennen dieſe ſeltene Frau nicht.“
„Holla! Alſo offen ausgeſprochen Ihr Ritter. Und uns den Handſchuh hingeworfen! Kennen Sie ſie denn?“
Nach einigem Schweigen antwortete Wandel: „Nein! — Es giebt Erſcheinungen, wo der Augen¬ aufſchlag die Seele uns erſchließt, andere, wo der geſchickteſte Pſychologe ſein Senkblei umſonſt ge¬ braucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus ſo zarten, ätheriſchen Faſern zuſammengeſetzt iſt, daß die leiſeſte Berührung unharmoniſcher Töne es zu¬ ſammenſchrecken macht; und hinwiederum iſt es von einer Elaſticität, daß ein rauher Anſtoß dieſe Fühl¬ fäden zu hartem Stahl verwandelt.“
„Laſſen Sie ſich nicht erdrücken von dem Stahl. Heim ſagte mal, in der Frau wäre eine cachirte Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts, aber das Cachirte liebe ich nicht.“
„Dieſe rohen Aerzte, die die Schwungfedern der Seele nur empiriſch betaſten! Da wollen ſie ihren
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„Prätendire ich, ein St. Germain zu ſein! Aber
der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine
Dame, deren Verſtand in ſo anderen höheren Re¬
gionen ſchweift, würde ſich nie zu einer mesquinen
Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber
nennen wir die Sache bei ihrem Namen und man
muß ſeine Menſchen kennen. Ich hätte nicht einmal
gewagt, ihr von der Sache zu ſprechen. Meine
Herren, ich wiederhole es, Sie kennen dieſe ſeltene
Frau nicht.“
„Holla! Alſo offen ausgeſprochen Ihr Ritter.
Und uns den Handſchuh hingeworfen! Kennen Sie
ſie denn?“
Nach einigem Schweigen antwortete Wandel:
„Nein! — Es giebt Erſcheinungen, wo der Augen¬
aufſchlag die Seele uns erſchließt, andere, wo der
geſchickteſte Pſychologe ſein Senkblei umſonſt ge¬
braucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus
ſo zarten, ätheriſchen Faſern zuſammengeſetzt iſt, daß
die leiſeſte Berührung unharmoniſcher Töne es zu¬
ſammenſchrecken macht; und hinwiederum iſt es von
einer Elaſticität, daß ein rauher Anſtoß dieſe Fühl¬
fäden zu hartem Stahl verwandelt.“
„Laſſen Sie ſich nicht erdrücken von dem Stahl.
Heim ſagte mal, in der Frau wäre eine cachirte
Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts,
aber das Cachirte liebe ich nicht.“
„Dieſe rohen Aerzte, die die Schwungfedern der
Seele nur empiriſch betaſten! Da wollen ſie ihren
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/309>, abgerufen am 28.11.2024.
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