Haus kann verbrennen. Das ist die Moral, welche die sanften Seelen uns predigen."
Er war aufgesprungen: "O wie glücklich könnte die Welt sein, wenn die Menschen es verständen, frei zu sein!" Er war sichtlich in einer Gemüthsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier.
"Was würden Sie thun? wandte er sich plötzlich zur Lupinus. Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingestürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter -- der tolle Mensch, durch's Fenster gestiegen, überfiele sie am Klavier. Oder, -- er ist zwar zu allem fähig, -- aber setzen wir nur den Fall Sie wüßten, daß er wieder zu ihr einge¬ drungen, daß er sie mit seinen Verführungskünsten zu umgarnen sucht, was würden Sie, frage ich, zuerst thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Essenzen springen, um den Diener zu soulagiren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Mensch, der doch über kurz sterben muß, oder das blühende junge Wesen?"
"Meine Tochter natürlich, sagte die Lupinus. Aber wenn der Mensch, der Johann, inzwischen stürbe? Was würde die Welt dazu sagen?"
"Was würden Sie dazu sagen? Das ist allein die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht ein unersetzlicher Verlust, hier kann ein Mensch ster¬ ben, für den der Tod eine Wohlthat ist. -- Leben Sie wohl!"
Haus kann verbrennen. Das iſt die Moral, welche die ſanften Seelen uns predigen.“
Er war aufgeſprungen: „O wie glücklich könnte die Welt ſein, wenn die Menſchen es verſtänden, frei zu ſein!“ Er war ſichtlich in einer Gemüthsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier.
„Was würden Sie thun? wandte er ſich plötzlich zur Lupinus. Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingeſtürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter — der tolle Menſch, durch's Fenſter geſtiegen, überfiele ſie am Klavier. Oder, — er iſt zwar zu allem fähig, — aber ſetzen wir nur den Fall Sie wüßten, daß er wieder zu ihr einge¬ drungen, daß er ſie mit ſeinen Verführungskünſten zu umgarnen ſucht, was würden Sie, frage ich, zuerſt thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Eſſenzen ſpringen, um den Diener zu ſoulagiren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Menſch, der doch über kurz ſterben muß, oder das blühende junge Weſen?“
„Meine Tochter natürlich, ſagte die Lupinus. Aber wenn der Menſch, der Johann, inzwiſchen ſtürbe? Was würde die Welt dazu ſagen?“
„Was würden Sie dazu ſagen? Das iſt allein die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht ein unerſetzlicher Verluſt, hier kann ein Menſch ſter¬ ben, für den der Tod eine Wohlthat iſt. — Leben Sie wohl!“
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Haus kann verbrennen. Das iſt die Moral, welche
die ſanften Seelen uns predigen.“
Er war aufgeſprungen: „O wie glücklich könnte
die Welt ſein, wenn die Menſchen es verſtänden, frei
zu ſein!“ Er war ſichtlich in einer Gemüthsbewegung.
Man hörte Adelheids Stimme am Klavier.
„Was würden Sie thun? wandte er ſich plötzlich
zur Lupinus. Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu
Ihren Füßen hingeſtürzt, und dort hörten Sie einen
Schrei Ihrer Tochter — der tolle Menſch, durch's
Fenſter geſtiegen, überfiele ſie am Klavier. Oder, —
er iſt zwar zu allem fähig, — aber ſetzen wir nur
den Fall Sie wüßten, daß er wieder zu ihr einge¬
drungen, daß er ſie mit ſeinen Verführungskünſten
zu umgarnen ſucht, was würden Sie, frage ich,
zuerſt thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den
Eſſenzen ſpringen, um den Diener zu ſoulagiren,
oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge
Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke
Menſch, der doch über kurz ſterben muß, oder das
blühende junge Weſen?“
„Meine Tochter natürlich, ſagte die Lupinus.
Aber wenn der Menſch, der Johann, inzwiſchen
ſtürbe? Was würde die Welt dazu ſagen?“
„Was würden Sie dazu ſagen? Das iſt allein
die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht
ein unerſetzlicher Verluſt, hier kann ein Menſch ſter¬
ben, für den der Tod eine Wohlthat iſt. — Leben
Sie wohl!“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/254>, abgerufen am 27.11.2024.
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