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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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schon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß
die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr
aber ins Gesicht sah, wo trotz aller Sanftmuth und
Glätte die ursprüngliche Gemeinheit sich nicht ver¬
bergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in
einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel
auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegen¬
über übers Herz bringen würde. Er stand, die Hände
in den Seitentaschen, halb seitwärts, halb ihr den
Rücken kehrend, wodurch sie freilich Gelegenheit ge¬
wann, ihr Anliegen auf dem nächsten Wege ihm ins
Ohr zu flüstern. Sie sprach leise. Er hatte mehr¬
mals den Kopf geschüttelt. Dann sprach er, gleich¬
falls mit gedämpfter Stimme: "Gedulden Sie sich
also bis Lombard kommt; er kann die Sache allein
arrangiren. Und bis dahin hüten Sie sich, daß keine
Klage einläuft. Keinen Scandal! In dem Fall wol¬
len wir die Sache schon hinhalten."

Die Supplicantin verbeugte sich tief. Er klopfte
ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die
Hand küssen. Das litt er nicht.

Der junge Rath las von einem Zettel den Na¬
men der nächst zur Audienz aufgeschriebenen Person.
Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand
und warf sich, die Beine übereinander, auf's Sopha;
ein Zeichen, daß er sich erholen wolle, vielleicht glaubte
der Vortragende darin eines für sich zu erkennen,
daß Bovillard sich über die vorige Audienz auszu¬
lassen Lust hatte.

ſchon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß
die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr
aber ins Geſicht ſah, wo trotz aller Sanftmuth und
Glätte die urſprüngliche Gemeinheit ſich nicht ver¬
bergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in
einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel
auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegen¬
über übers Herz bringen würde. Er ſtand, die Hände
in den Seitentaſchen, halb ſeitwärts, halb ihr den
Rücken kehrend, wodurch ſie freilich Gelegenheit ge¬
wann, ihr Anliegen auf dem nächſten Wege ihm ins
Ohr zu flüſtern. Sie ſprach leiſe. Er hatte mehr¬
mals den Kopf geſchüttelt. Dann ſprach er, gleich¬
falls mit gedämpfter Stimme: „Gedulden Sie ſich
alſo bis Lombard kommt; er kann die Sache allein
arrangiren. Und bis dahin hüten Sie ſich, daß keine
Klage einläuft. Keinen Scandal! In dem Fall wol¬
len wir die Sache ſchon hinhalten.“

Die Supplicantin verbeugte ſich tief. Er klopfte
ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die
Hand küſſen. Das litt er nicht.

Der junge Rath las von einem Zettel den Na¬
men der nächſt zur Audienz aufgeſchriebenen Perſon.
Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand
und warf ſich, die Beine übereinander, auf's Sopha;
ein Zeichen, daß er ſich erholen wolle, vielleicht glaubte
der Vortragende darin eines für ſich zu erkennen,
daß Bovillard ſich über die vorige Audienz auszu¬
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[80/0094] ſchon ein Blick auf ihre groben Füße angezeigt, daß die feine Kleidung ihr nicht angeboren war. Wer ihr aber ins Geſicht ſah, wo trotz aller Sanftmuth und Glätte die urſprüngliche Gemeinheit ſich nicht ver¬ bergen konnte, begriff, warum der Geheimrath in einer Art ihr Audienz gab, wie es in der Regel auch ein noch vornehmerer Mann keiner Dame gegen¬ über übers Herz bringen würde. Er ſtand, die Hände in den Seitentaſchen, halb ſeitwärts, halb ihr den Rücken kehrend, wodurch ſie freilich Gelegenheit ge¬ wann, ihr Anliegen auf dem nächſten Wege ihm ins Ohr zu flüſtern. Sie ſprach leiſe. Er hatte mehr¬ mals den Kopf geſchüttelt. Dann ſprach er, gleich¬ falls mit gedämpfter Stimme: „Gedulden Sie ſich alſo bis Lombard kommt; er kann die Sache allein arrangiren. Und bis dahin hüten Sie ſich, daß keine Klage einläuft. Keinen Scandal! In dem Fall wol¬ len wir die Sache ſchon hinhalten.“ Die Supplicantin verbeugte ſich tief. Er klopfte ihr freundlich auf die Schultern. Sie wollte ihm die Hand küſſen. Das litt er nicht. Der junge Rath las von einem Zettel den Na¬ men der nächſt zur Audienz aufgeſchriebenen Perſon. Der Geheimrath machte eine Bewegung mit der Hand und warf ſich, die Beine übereinander, auf's Sopha; ein Zeichen, daß er ſich erholen wolle, vielleicht glaubte der Vortragende darin eines für ſich zu erkennen, daß Bovillard ſich über die vorige Audienz auszu¬ laſſen Luſt hatte.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/94>, abgerufen am 01.05.2024.