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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt,
wenn sie freundlich zuhörten, sich an der Binde zupf¬
ten oder die Schultern zuckten. Und doch waren es
nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen sich
in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren
Verständigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen
haben.

Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war
geräumig, halb mit Aktentischen und Repositorien, halb
mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines rei¬
chen Lebens ausgestattet. Auf den Fauteuils und
kleinen Tischen lagen zerstreut in elegantem Einband
die neuesten Werke der französischen Literatur. Am
Ende des Aktentisches saß ein jüngerer Rath, in den
eingegangnen Schriftstücken blätternd und sie zum
Vortrag ordnend. Im entferntern Winkel stand der
Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt,
die sich sehr bescheiden in der Ecke zwischen Fenster
und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch
welche sie auch vermuthlich der Kammerdiener einge¬
lassen, denn nach Beendigung der Audienz schlich sie
durch diese Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine
Garderobe, aus den kostbarsten und auffällig moder¬
nen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum
schienen ihr eher ein Anrecht auf einen Platz auf dem
Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der sehr
wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle
nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle
sich schickte. Einem Psychologen hätte vielleicht

Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt,
wenn ſie freundlich zuhörten, ſich an der Binde zupf¬
ten oder die Schultern zuckten. Und doch waren es
nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen ſich
in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren
Verſtändigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen
haben.

Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war
geräumig, halb mit Aktentiſchen und Repoſitorien, halb
mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines rei¬
chen Lebens ausgeſtattet. Auf den Fauteuils und
kleinen Tiſchen lagen zerſtreut in elegantem Einband
die neueſten Werke der franzöſiſchen Literatur. Am
Ende des Aktentiſches ſaß ein jüngerer Rath, in den
eingegangnen Schriftſtücken blätternd und ſie zum
Vortrag ordnend. Im entferntern Winkel ſtand der
Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt,
die ſich ſehr beſcheiden in der Ecke zwiſchen Fenſter
und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch
welche ſie auch vermuthlich der Kammerdiener einge¬
laſſen, denn nach Beendigung der Audienz ſchlich ſie
durch dieſe Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine
Garderobe, aus den koſtbarſten und auffällig moder¬
nen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum
ſchienen ihr eher ein Anrecht auf einen Platz auf dem
Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der ſehr
wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle
nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle
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[79/0093] Männer hätte ein Neuling da zu entdecken geglaubt, wenn ſie freundlich zuhörten, ſich an der Binde zupf¬ ten oder die Schultern zuckten. Und doch waren es nur Schreiber und Boten. Ob einer von ihnen ſich in den Winkel ziehen und zu einer vertraulicheren Verſtändigung hinreißen ließ, will ich nicht verrathen haben. Das Zimmer, wo der Geheimrath empfing, war geräumig, halb mit Aktentiſchen und Repoſitorien, halb mit den Bequemlichkeiten und dem Luxus eines rei¬ chen Lebens ausgeſtattet. Auf den Fauteuils und kleinen Tiſchen lagen zerſtreut in elegantem Einband die neueſten Werke der franzöſiſchen Literatur. Am Ende des Aktentiſches ſaß ein jüngerer Rath, in den eingegangnen Schriftſtücken blätternd und ſie zum Vortrag ordnend. Im entferntern Winkel ſtand der Geheimrath und hatte einer Dame Audienz ertheilt, die ſich ſehr beſcheiden in der Ecke zwiſchen Fenſter und Hinterthür hielt. Es war eine Tapetenthür, durch welche ſie auch vermuthlich der Kammerdiener einge¬ laſſen, denn nach Beendigung der Audienz ſchlich ſie durch dieſe Thür hinaus. Ihre vielen Ringe, eine Garderobe, aus den koſtbarſten und auffällig moder¬ nen Stücken, und der prachtvolle Shawl darum ſchienen ihr eher ein Anrecht auf einen Platz auf dem Sopha zu geben, wenn nicht die Haltung der ſehr wohlbeleibten Frau verrathen hätte, daß die Hülle nicht recht zum Körper, oder der Körper zur Hülle ſich ſchickte. Einem Pſychologen hätte vielleicht

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/93>, abgerufen am 30.04.2024.