Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.diesen Kreisen war es längst entschieden. Welcher Ehret die Frauen, sie flechten und weben Himmlische Rosen ins irdische Leben. den Preis zuerkannten! Es war nur seltsam, daß Weh dem der fern von Eltern und Geschwistern, Ein einsam Leben führt, ihm zehrt der Gram Das nächste Glück von seinen Lippen weg. Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden aneinander knüpften. Ein junger Mann mit blassem ernsten, aber et¬ dieſen Kreiſen war es längſt entſchieden. Welcher Ehret die Frauen, ſie flechten und weben Himmliſche Roſen ins irdiſche Leben. den Preis zuerkannten! Es war nur ſeltſam, daß Weh dem der fern von Eltern und Geſchwiſtern, Ein einſam Leben führt, ihm zehrt der Gram Das nächſte Glück von ſeinen Lippen weg. Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter Mit ſanften Banden aneinander knüpften. Ein junger Mann mit blaſſem ernſten, aber et¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="45"/> dieſen Kreiſen war es längſt entſchieden. Welcher<lb/> Mann von Bildung hätte zarten Lippen widerſpro¬<lb/> chen, welche dem Dichter, der geſungen:</p><lb/> <lg type="poem"> <l rendition="#et">Ehret die Frauen, ſie flechten und weben</l><lb/> <l rendition="#et">Himmliſche Roſen ins irdiſche Leben.</l><lb/> </lg> <p>den Preis zuerkannten! Es war nur ſeltſam, daß<lb/> der Streit, trotz der Entſcheidung, immer wieder von<lb/> Neuem aufgeworfen werden konnte. Eine Geheim¬<lb/> räthin — es war aber eine dritte Geheimräthin —<lb/> ſtellte ſogar die Behauptung auf, während jede Seite<lb/> in Schiller wenigſtens ein nobles Sentiment enthalte,<lb/> wiſſe ſie keine einzige Sentenz in Goethe, welche<lb/> die Seele rührt und erhebt. Dies fand doch Wider¬<lb/> ſpruch, und man citirte aus der Iphigenie die Verſe:</p><lb/> <lg type="poem"> <l rendition="#et">Weh dem der fern von Eltern und Geſchwiſtern,</l><lb/> <l rendition="#et">Ein einſam Leben führt, ihm zehrt der Gram</l><lb/> <l rendition="#et">Das nächſte Glück von ſeinen Lippen weg.</l><lb/> <l rendition="#et">Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken</l><lb/> <l rendition="#et">Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne</l><lb/> <l rendition="#et">Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo</l><lb/> <l rendition="#et">Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter</l><lb/> <l rendition="#et">Mit ſanften Banden aneinander knüpften.</l><lb/> </lg> <p>Ein junger Mann mit blaſſem ernſten, aber et¬<lb/> was eingefallenen Geſicht recitirte die Verſe mit<lb/> Ausdruck. Man ſchwieg eine Weile. Als die Ge¬<lb/> heimräthin ſie ſchön fand, drückten Alle ihre Bewun¬<lb/> derung aus. Eine Dame hatte bis da geglaubt, ſie<lb/> rührten von Schiller her, ſie hatte die Erhabenheit<lb/> des Gefühls Goethe nicht zugetraut. Doch bemerkte<lb/> ſie, die Verſe ründeten ſich nicht ſo wie bei Schiller,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0059]
dieſen Kreiſen war es längſt entſchieden. Welcher
Mann von Bildung hätte zarten Lippen widerſpro¬
chen, welche dem Dichter, der geſungen:
Ehret die Frauen, ſie flechten und weben
Himmliſche Roſen ins irdiſche Leben.
den Preis zuerkannten! Es war nur ſeltſam, daß
der Streit, trotz der Entſcheidung, immer wieder von
Neuem aufgeworfen werden konnte. Eine Geheim¬
räthin — es war aber eine dritte Geheimräthin —
ſtellte ſogar die Behauptung auf, während jede Seite
in Schiller wenigſtens ein nobles Sentiment enthalte,
wiſſe ſie keine einzige Sentenz in Goethe, welche
die Seele rührt und erhebt. Dies fand doch Wider¬
ſpruch, und man citirte aus der Iphigenie die Verſe:
Weh dem der fern von Eltern und Geſchwiſtern,
Ein einſam Leben führt, ihm zehrt der Gram
Das nächſte Glück von ſeinen Lippen weg.
Ihm ſchwärmen abwärts immer die Gedanken
Nach ſeines Vaters Hallen, wo die Sonne
Zuerſt den Himmel vor ihm aufſchloß, wo
Sich Mitgeborne ſpielend feſt und feſter
Mit ſanften Banden aneinander knüpften.
Ein junger Mann mit blaſſem ernſten, aber et¬
was eingefallenen Geſicht recitirte die Verſe mit
Ausdruck. Man ſchwieg eine Weile. Als die Ge¬
heimräthin ſie ſchön fand, drückten Alle ihre Bewun¬
derung aus. Eine Dame hatte bis da geglaubt, ſie
rührten von Schiller her, ſie hatte die Erhabenheit
des Gefühls Goethe nicht zugetraut. Doch bemerkte
ſie, die Verſe ründeten ſich nicht ſo wie bei Schiller,
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