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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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In Zimmer an Zimmer konnte die Gesell¬
schaft sich ausbreiten. Wenn aber die Geheim¬
räthin das Theater dunkel fand, weil ihr Auge
in eine künftige Zeit drang, so konnte sie auch hier
trotz der vielen Wachskerzen auf schweren Silber¬
leuchtern den flimmernden Schein des Lampenlichtes
vermissen, das die Nacht zum Tage macht. Unter
den Möbeln, zum großen Theil noch vom spätern
Roccoco, gewundenen weiß lackirten Stühlen und
Tischen mit dem verbleichenden Schimmer von Gold,
sah man schon den Uebergang zur antiken Welt in einigen
glatten, scharf eckigten Stücken, deren Modelle dem
Tischler wenn auch nicht als aus Pompeji doch an¬
geblich aus Hetrurien zugewiesen waren. Sie konn¬
ten so wenig als die Schildereien und die paar
plastischen Stücke an den Wänden die Schnörkeleien
des Roccocothum durch edle Einfalt beschämen.

Wovon man sich unterhielt? -- Wer faßt die
zückenden Irrlichter zusammen, die von Mund zu
Munde hüpfen. Und in einer gemischten Gesellschaft!

Hier politisch, dort poetisch,
Regelrecht wie ein Lineal,
Philosophisch und ästhetisch
Krümmend hier sich wie der Aal,
Sprudelnd wie der Dampf vom Theetisch
Aber überall trivial.

hat ein späterer Dichter sie beschrieben.

Ob die Geheimräthin sie auch so fand! Sie
wechselte oft die Gruppen. Hier der ewige Streit,
ob Goethe oder Schiller ein größerer Dichter sei? In

In Zimmer an Zimmer konnte die Geſell¬
ſchaft ſich ausbreiten. Wenn aber die Geheim¬
räthin das Theater dunkel fand, weil ihr Auge
in eine künftige Zeit drang, ſo konnte ſie auch hier
trotz der vielen Wachskerzen auf ſchweren Silber¬
leuchtern den flimmernden Schein des Lampenlichtes
vermiſſen, das die Nacht zum Tage macht. Unter
den Möbeln, zum großen Theil noch vom ſpätern
Roccoco, gewundenen weiß lackirten Stühlen und
Tiſchen mit dem verbleichenden Schimmer von Gold,
ſah man ſchon den Uebergang zur antiken Welt in einigen
glatten, ſcharf eckigten Stücken, deren Modelle dem
Tiſchler wenn auch nicht als aus Pompeji doch an¬
geblich aus Hetrurien zugewieſen waren. Sie konn¬
ten ſo wenig als die Schildereien und die paar
plaſtiſchen Stücke an den Wänden die Schnörkeleien
des Roccocothum durch edle Einfalt beſchämen.

Wovon man ſich unterhielt? — Wer faßt die
zückenden Irrlichter zuſammen, die von Mund zu
Munde hüpfen. Und in einer gemiſchten Geſellſchaft!

Hier politiſch, dort poetiſch,
Regelrecht wie ein Lineal,
Philoſophiſch und äſthetiſch
Krümmend hier ſich wie der Aal,
Sprudelnd wie der Dampf vom Theetiſch
Aber überall trivial.

hat ein ſpäterer Dichter ſie beſchrieben.

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[44/0058] In Zimmer an Zimmer konnte die Geſell¬ ſchaft ſich ausbreiten. Wenn aber die Geheim¬ räthin das Theater dunkel fand, weil ihr Auge in eine künftige Zeit drang, ſo konnte ſie auch hier trotz der vielen Wachskerzen auf ſchweren Silber¬ leuchtern den flimmernden Schein des Lampenlichtes vermiſſen, das die Nacht zum Tage macht. Unter den Möbeln, zum großen Theil noch vom ſpätern Roccoco, gewundenen weiß lackirten Stühlen und Tiſchen mit dem verbleichenden Schimmer von Gold, ſah man ſchon den Uebergang zur antiken Welt in einigen glatten, ſcharf eckigten Stücken, deren Modelle dem Tiſchler wenn auch nicht als aus Pompeji doch an¬ geblich aus Hetrurien zugewieſen waren. Sie konn¬ ten ſo wenig als die Schildereien und die paar plaſtiſchen Stücke an den Wänden die Schnörkeleien des Roccocothum durch edle Einfalt beſchämen. Wovon man ſich unterhielt? — Wer faßt die zückenden Irrlichter zuſammen, die von Mund zu Munde hüpfen. Und in einer gemiſchten Geſellſchaft! Hier politiſch, dort poetiſch, Regelrecht wie ein Lineal, Philoſophiſch und äſthetiſch Krümmend hier ſich wie der Aal, Sprudelnd wie der Dampf vom Theetiſch Aber überall trivial. hat ein ſpäterer Dichter ſie beſchrieben. Ob die Geheimräthin ſie auch ſo fand! Sie wechſelte oft die Gruppen. Hier der ewige Streit, ob Goethe oder Schiller ein größerer Dichter ſei? In

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/58>, abgerufen am 30.04.2024.