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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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und bei aller Schönheit fehlte ihnen der schmeichelhafte
Klang des Gefühls. "Aber er liegt in unsrer Seele,
und fühlt das Weh, das uns in der einsamen Brust
verzehrt" hatte die Geheimräthin gesagt, als sie sich
abwandte. Man schien sich zu fragen, was sie damit
meine? Ein alter Hofrath antwortete seiner etwas
schwerhörigen Nachbarin: "Sie ist eine Adlige von
Geburt, und mags nun doch nicht recht verschnupfen,
daß sie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum
hält sie wohl das von "seines Vaters Hallen" auf
sich anzüglich. Aber Schloß Wustenau stand schon
1762 sub hasta und sie ist auch gar nicht mal drin
geboren; sie bildets sichs nur ein." -- Die Dame,
vor kurzem erst nach Berlin gekommen, war zufällig
selbst eine adlige Officiersdame, was der Hofrath
vermuthlich nicht gewußt. "Wenn er ihr ein Sort
gemacht hätte, erwiderte sie, das passirt wohl, aber
wie ich höre, ist das Vermögen von ihr, et voila qui
est bien curieux."
-- "Ja, meine gnädigste Frau,
erklärte der Hofrath, als sie ihn heirathete, war sie
ein blutarmes Fräulein, man hielts für ein großes
Glück, daß sie ihn kriegte. Erst nachher machte sie
die große Erbschaft." -- "Ah! c'est ca." sagte die
gnädige Frau, und sagte nichts weiter.

"Wie kommt es, daß man den Einsiedler einmal
in Gesellschaft sieht, sagte die Geheimräthin im Vor¬
übergehen zu dem jungen Manne, der die Verse ge¬
sprochen. Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie
Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu ler¬

und bei aller Schönheit fehlte ihnen der ſchmeichelhafte
Klang des Gefühls. „Aber er liegt in unſrer Seele,
und fühlt das Weh, das uns in der einſamen Bruſt
verzehrt“ hatte die Geheimräthin geſagt, als ſie ſich
abwandte. Man ſchien ſich zu fragen, was ſie damit
meine? Ein alter Hofrath antwortete ſeiner etwas
ſchwerhörigen Nachbarin: „Sie iſt eine Adlige von
Geburt, und mags nun doch nicht recht verſchnupfen,
daß ſie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum
hält ſie wohl das von „ſeines Vaters Hallen“ auf
ſich anzüglich. Aber Schloß Wuſtenau ſtand ſchon
1762 ſub hasta und ſie iſt auch gar nicht mal drin
geboren; ſie bildets ſichs nur ein.“ — Die Dame,
vor kurzem erſt nach Berlin gekommen, war zufällig
ſelbſt eine adlige Officiersdame, was der Hofrath
vermuthlich nicht gewußt. „Wenn er ihr ein Sort
gemacht hätte, erwiderte ſie, das paſſirt wohl, aber
wie ich höre, iſt das Vermögen von ihr, et voilà qui
est bien curieux.“
— „Ja, meine gnädigſte Frau,
erklärte der Hofrath, als ſie ihn heirathete, war ſie
ein blutarmes Fräulein, man hielts für ein großes
Glück, daß ſie ihn kriegte. Erſt nachher machte ſie
die große Erbſchaft.“ — „Ah! c'est ça.“ ſagte die
gnädige Frau, und ſagte nichts weiter.

„Wie kommt es, daß man den Einſiedler einmal
in Geſellſchaft ſieht, ſagte die Geheimräthin im Vor¬
übergehen zu dem jungen Manne, der die Verſe ge¬
ſprochen. Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie
Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu ler¬

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[46/0060] und bei aller Schönheit fehlte ihnen der ſchmeichelhafte Klang des Gefühls. „Aber er liegt in unſrer Seele, und fühlt das Weh, das uns in der einſamen Bruſt verzehrt“ hatte die Geheimräthin geſagt, als ſie ſich abwandte. Man ſchien ſich zu fragen, was ſie damit meine? Ein alter Hofrath antwortete ſeiner etwas ſchwerhörigen Nachbarin: „Sie iſt eine Adlige von Geburt, und mags nun doch nicht recht verſchnupfen, daß ſie einen Bürgerlichen geheirathet hat. Darum hält ſie wohl das von „ſeines Vaters Hallen“ auf ſich anzüglich. Aber Schloß Wuſtenau ſtand ſchon 1762 ſub hasta und ſie iſt auch gar nicht mal drin geboren; ſie bildets ſichs nur ein.“ — Die Dame, vor kurzem erſt nach Berlin gekommen, war zufällig ſelbſt eine adlige Officiersdame, was der Hofrath vermuthlich nicht gewußt. „Wenn er ihr ein Sort gemacht hätte, erwiderte ſie, das paſſirt wohl, aber wie ich höre, iſt das Vermögen von ihr, et voilà qui est bien curieux.“ — „Ja, meine gnädigſte Frau, erklärte der Hofrath, als ſie ihn heirathete, war ſie ein blutarmes Fräulein, man hielts für ein großes Glück, daß ſie ihn kriegte. Erſt nachher machte ſie die große Erbſchaft.“ — „Ah! c'est ça.“ ſagte die gnädige Frau, und ſagte nichts weiter. „Wie kommt es, daß man den Einſiedler einmal in Geſellſchaft ſieht, ſagte die Geheimräthin im Vor¬ übergehen zu dem jungen Manne, der die Verſe ge¬ ſprochen. Und noch mehr, wie kommt es, daß Sie Goethe noch für werth achten, ihn auswendig zu ler¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/60>, abgerufen am 25.11.2024.