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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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"Ein Opfer der Mißverständnisse. Er hatte die
beste Absicht, von London aus den kleinen Irthum
auszugleichen, -- sonst ein Mann von Charakter,
sublimen Ideen, ist auch Macon. In einem weißen
Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede;
ich wünschte, Sie hätten sie gehört; wie ließ er die
irrende Schwester beten! Ach aber, wie das kleine
Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme
ausbreitete und im Namen der Allmacht sprach:
Mutter dir ist vergeben! die Seligen warten auf
Dich! -- da blieb kein Auge trocken."

"Und nachher haben sie getrunken?"

"Die Gesellschaft hatte einige Flaschen besorgt.
Das Herz schloß sich unwillkürlich auf. Man durfte
sich doch nicht lumpen lassen. Ich ließ ein Dutzend
Hochheimer bringen. Ich sage Ihnen, diese Empfin¬
dungen, die sich da aufschlossen! Da war doch kein
böser Gedanke, nichts als die reinste allgemeine
Menschenliebe, und wäre nicht der verlorne Mensch,
der Sohn des Geheimraths Bovillard, dazwischen
gekommen, so wäre auch alles ganz gut abgelaufen."

"Läßt ihn der Vater noch immer einsperren?"

"Nein, er sitzt jetzt wegen des letzten Scandals mit
dem Gensdarmerieofficier. Dieser Taugenichts ver¬
dirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Gesell¬
schaft. Indessen man hat doch Rücksichten wegen des
Vaters."

"Gewiß und sehr ernste."

"Und unser Hofrath Süßring, Sie kennen

„Ein Opfer der Mißverſtändniſſe. Er hatte die
beſte Abſicht, von London aus den kleinen Irthum
auszugleichen, — ſonſt ein Mann von Charakter,
ſublimen Ideen, iſt auch Maçon. In einem weißen
Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede;
ich wünſchte, Sie hätten ſie gehört; wie ließ er die
irrende Schweſter beten! Ach aber, wie das kleine
Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme
ausbreitete und im Namen der Allmacht ſprach:
Mutter dir iſt vergeben! die Seligen warten auf
Dich! — da blieb kein Auge trocken.“

„Und nachher haben ſie getrunken?“

„Die Geſellſchaft hatte einige Flaſchen beſorgt.
Das Herz ſchloß ſich unwillkürlich auf. Man durfte
ſich doch nicht lumpen laſſen. Ich ließ ein Dutzend
Hochheimer bringen. Ich ſage Ihnen, dieſe Empfin¬
dungen, die ſich da aufſchloſſen! Da war doch kein
böſer Gedanke, nichts als die reinſte allgemeine
Menſchenliebe, und wäre nicht der verlorne Menſch,
der Sohn des Geheimraths Bovillard, dazwiſchen
gekommen, ſo wäre auch alles ganz gut abgelaufen.“

„Läßt ihn der Vater noch immer einſperren?“

„Nein, er ſitzt jetzt wegen des letzten Scandals mit
dem Gensdarmerieofficier. Dieſer Taugenichts ver¬
dirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Geſell¬
ſchaft. Indeſſen man hat doch Rückſichten wegen des
Vaters.“

„Gewiß und ſehr ernſte.“

„Und unſer Hofrath Süßring, Sie kennen

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[25/0039] „Ein Opfer der Mißverſtändniſſe. Er hatte die beſte Abſicht, von London aus den kleinen Irthum auszugleichen, — ſonſt ein Mann von Charakter, ſublimen Ideen, iſt auch Maçon. In einem weißen Talar, eine Binde um die Stirn, hielt er eine Rede; ich wünſchte, Sie hätten ſie gehört; wie ließ er die irrende Schweſter beten! Ach aber, wie das kleine Kind, das der Mutter voraufgegangen, die Arme ausbreitete und im Namen der Allmacht ſprach: Mutter dir iſt vergeben! die Seligen warten auf Dich! — da blieb kein Auge trocken.“ „Und nachher haben ſie getrunken?“ „Die Geſellſchaft hatte einige Flaſchen beſorgt. Das Herz ſchloß ſich unwillkürlich auf. Man durfte ſich doch nicht lumpen laſſen. Ich ließ ein Dutzend Hochheimer bringen. Ich ſage Ihnen, dieſe Empfin¬ dungen, die ſich da aufſchloſſen! Da war doch kein böſer Gedanke, nichts als die reinſte allgemeine Menſchenliebe, und wäre nicht der verlorne Menſch, der Sohn des Geheimraths Bovillard, dazwiſchen gekommen, ſo wäre auch alles ganz gut abgelaufen.“ „Läßt ihn der Vater noch immer einſperren?“ „Nein, er ſitzt jetzt wegen des letzten Scandals mit dem Gensdarmerieofficier. Dieſer Taugenichts ver¬ dirbt mir eigentlich die Harmonie in meiner Geſell¬ ſchaft. Indeſſen man hat doch Rückſichten wegen des Vaters.“ „Gewiß und ſehr ernſte.“ „Und unſer Hofrath Süßring, Sie kennen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/39>, abgerufen am 24.11.2024.