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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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gationsrath auf seinem Rückweg die Straße passirte.
Man war jetzt schon besser von den Verhältnissen
unterrichtet, man wußte, wer das junge Mädchen
war, man hatte auch Kunde von dem, was wir eben
erzählt: "Schade um sie, die ist auf immer verloren,"
sagte ein ältlicher Mann, von der Haltung und dem
Gesichtsausdruck, woran man sogenannte solide Bür¬
ger erkennt.

"Und warum das, mein Herr van Asten," fragte
der Legationsrath, der heran getreten war und in dem
Kaufmann einen Geschäftsfreund erkannte.

"Weil sich gewisse Dinge nicht wieder repariren
lassen, die ein Mal schadhaft geworden sind."

"Auch wenn ich Ihnen beweise, durch welche
Ränke und Intriguen sie in dies Haus verlockt ward?"

"Mir werden Sie es vielleicht beweisen, und
vielleicht auch diesen Herren, welche uns zuhören.
Aber schon den beiden nicht, welche dort eben fort¬
gehen, noch weniger der ganzen Stadt, welche heut
Abend im Theater, in den Gesellschaften, in den
Wirthshäusern von dem Vorfall plaudern wird. Man
wird schon heut mehr erzählen, als sich ereignet
hat, und morgen weit mehr wissen, als wir heut
gesehen haben. Man glaubt aber immer lieber
das Schlimmste, weil es das Interessanteste ist.
Wollen Sie es durch den Ausrufer ausschreien
lassen, daß die Demoiselle Alltag ein unschuldiges
Mädchen ist, oder an die Ecken es anschlagen lassen?
Das Uebel würde nur schlimmer. Sie könnten frei¬

gationsrath auf ſeinem Rückweg die Straße paſſirte.
Man war jetzt ſchon beſſer von den Verhältniſſen
unterrichtet, man wußte, wer das junge Mädchen
war, man hatte auch Kunde von dem, was wir eben
erzählt: „Schade um ſie, die iſt auf immer verloren,“
ſagte ein ältlicher Mann, von der Haltung und dem
Geſichtsausdruck, woran man ſogenannte ſolide Bür¬
ger erkennt.

„Und warum das, mein Herr van Aſten,“ fragte
der Legationsrath, der heran getreten war und in dem
Kaufmann einen Geſchäftsfreund erkannte.

„Weil ſich gewiſſe Dinge nicht wieder repariren
laſſen, die ein Mal ſchadhaft geworden ſind.“

„Auch wenn ich Ihnen beweiſe, durch welche
Ränke und Intriguen ſie in dies Haus verlockt ward?“

„Mir werden Sie es vielleicht beweiſen, und
vielleicht auch dieſen Herren, welche uns zuhören.
Aber ſchon den beiden nicht, welche dort eben fort¬
gehen, noch weniger der ganzen Stadt, welche heut
Abend im Theater, in den Geſellſchaften, in den
Wirthshäuſern von dem Vorfall plaudern wird. Man
wird ſchon heut mehr erzählen, als ſich ereignet
hat, und morgen weit mehr wiſſen, als wir heut
geſehen haben. Man glaubt aber immer lieber
das Schlimmſte, weil es das Intereſſanteſte iſt.
Wollen Sie es durch den Ausrufer ausſchreien
laſſen, daß die Demoiſelle Alltag ein unſchuldiges
Mädchen iſt, oder an die Ecken es anſchlagen laſſen?
Das Uebel würde nur ſchlimmer. Sie könnten frei¬

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[317/0331] gationsrath auf ſeinem Rückweg die Straße paſſirte. Man war jetzt ſchon beſſer von den Verhältniſſen unterrichtet, man wußte, wer das junge Mädchen war, man hatte auch Kunde von dem, was wir eben erzählt: „Schade um ſie, die iſt auf immer verloren,“ ſagte ein ältlicher Mann, von der Haltung und dem Geſichtsausdruck, woran man ſogenannte ſolide Bür¬ ger erkennt. „Und warum das, mein Herr van Aſten,“ fragte der Legationsrath, der heran getreten war und in dem Kaufmann einen Geſchäftsfreund erkannte. „Weil ſich gewiſſe Dinge nicht wieder repariren laſſen, die ein Mal ſchadhaft geworden ſind.“ „Auch wenn ich Ihnen beweiſe, durch welche Ränke und Intriguen ſie in dies Haus verlockt ward?“ „Mir werden Sie es vielleicht beweiſen, und vielleicht auch dieſen Herren, welche uns zuhören. Aber ſchon den beiden nicht, welche dort eben fort¬ gehen, noch weniger der ganzen Stadt, welche heut Abend im Theater, in den Geſellſchaften, in den Wirthshäuſern von dem Vorfall plaudern wird. Man wird ſchon heut mehr erzählen, als ſich ereignet hat, und morgen weit mehr wiſſen, als wir heut geſehen haben. Man glaubt aber immer lieber das Schlimmſte, weil es das Intereſſanteſte iſt. Wollen Sie es durch den Ausrufer ausſchreien laſſen, daß die Demoiſelle Alltag ein unſchuldiges Mädchen iſt, oder an die Ecken es anſchlagen laſſen? Das Uebel würde nur ſchlimmer. Sie könnten frei¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/331>, abgerufen am 24.11.2024.