Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Menschenkenntniß, Herr Geheimerath. Lernt
man in der Schwäche sich nicht selbst am besten kennen?"

"Das will ich gelten lassen. Darum schickte
ein gewisser Jemand auch wohl seine Pantoffeln in
das Haus."

Der Geheimerath senkte den Blick: "So viel mir
bekannt, sind diese schon vor Monaten wieder abgeholt."

"Das ist sehr klug von dem Jemand gehandelt.
Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre ist
unter der Feder, in diesen Häusern soll künftig eine
Präsenzliste geführt werden. Wer aus- und eingeht,
muß seinen Namen einschreiben. An jedem Morgen
wird der Polizeipräsident wissen, wer sie besucht hat,
und die Beamten werden höhern Orts gemeldet."

Die beiden Geheimeräthe sahen sich unwillkürlich
mit einem wunderbaren Blicke an. Es entstand eine
Pause. Eine vertraulichere Stimmung schien zwischen
dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten,
als jener nach einem kurzen Ambuliren seine ver¬
schanzte Stellung im Stich lassend, sich mit über¬
kreuzten Beinen auf das Sopha setzte. Der Nicht¬
wirkliche nahm bescheiden in der andern Ecke Platz.

"Und dann, warum müssen Sie mit jeder Schürze
auf der Straße Conversation anfangen, und jedes
hübsche Dienstmädchen in die Backen kneifen?"

"Mon Dieu, auch das ein Verbrechen, wenn das
Herz uns treibt, unsere Mitmenschen zu uns zu er¬
heben! Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspi¬
ration d'un coeur humain."

„Menſchenkenntniß, Herr Geheimerath. Lernt
man in der Schwäche ſich nicht ſelbſt am beſten kennen?“

„Das will ich gelten laſſen. Darum ſchickte
ein gewiſſer Jemand auch wohl ſeine Pantoffeln in
das Haus.“

Der Geheimerath ſenkte den Blick: „So viel mir
bekannt, ſind dieſe ſchon vor Monaten wieder abgeholt.“

„Das iſt ſehr klug von dem Jemand gehandelt.
Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre iſt
unter der Feder, in dieſen Häuſern ſoll künftig eine
Präſenzliſte geführt werden. Wer aus- und eingeht,
muß ſeinen Namen einſchreiben. An jedem Morgen
wird der Polizeipräſident wiſſen, wer ſie beſucht hat,
und die Beamten werden höhern Orts gemeldet.“

Die beiden Geheimeräthe ſahen ſich unwillkürlich
mit einem wunderbaren Blicke an. Es entſtand eine
Pauſe. Eine vertraulichere Stimmung ſchien zwiſchen
dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten,
als jener nach einem kurzen Ambuliren ſeine ver¬
ſchanzte Stellung im Stich laſſend, ſich mit über¬
kreuzten Beinen auf das Sopha ſetzte. Der Nicht¬
wirkliche nahm beſcheiden in der andern Ecke Platz.

„Und dann, warum müſſen Sie mit jeder Schürze
auf der Straße Converſation anfangen, und jedes
hübſche Dienſtmädchen in die Backen kneifen?“

„Mon Dieu, auch das ein Verbrechen, wenn das
Herz uns treibt, unſere Mitmenſchen zu uns zu er¬
heben! Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspi¬
ration d'un coeur humain.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0123" n="109"/>
        <p>&#x201E;Men&#x017F;chenkenntniß, Herr Geheimerath. Lernt<lb/>
man in der Schwäche &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t am be&#x017F;ten kennen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das will ich gelten la&#x017F;&#x017F;en. Darum &#x017F;chickte<lb/>
ein gewi&#x017F;&#x017F;er Jemand auch wohl &#x017F;eine Pantoffeln in<lb/>
das Haus.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Geheimerath &#x017F;enkte den Blick: &#x201E;So viel mir<lb/>
bekannt, &#x017F;ind die&#x017F;e &#x017F;chon vor Monaten wieder abgeholt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t &#x017F;ehr klug von dem Jemand gehandelt.<lb/>
Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre i&#x017F;t<lb/>
unter der Feder, in die&#x017F;en Häu&#x017F;ern &#x017F;oll künftig eine<lb/>
Prä&#x017F;enzli&#x017F;te geführt werden. Wer aus- und eingeht,<lb/>
muß &#x017F;einen Namen ein&#x017F;chreiben. An jedem Morgen<lb/>
wird der Polizeiprä&#x017F;ident wi&#x017F;&#x017F;en, wer &#x017F;ie be&#x017F;ucht hat,<lb/>
und die Beamten werden höhern Orts gemeldet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die beiden Geheimeräthe &#x017F;ahen &#x017F;ich unwillkürlich<lb/>
mit einem wunderbaren Blicke an. Es ent&#x017F;tand eine<lb/>
Pau&#x017F;e. Eine vertraulichere Stimmung &#x017F;chien zwi&#x017F;chen<lb/>
dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten,<lb/>
als jener nach einem kurzen Ambuliren &#x017F;eine ver¬<lb/>
&#x017F;chanzte Stellung im Stich la&#x017F;&#x017F;end, &#x017F;ich mit über¬<lb/>
kreuzten Beinen auf das Sopha &#x017F;etzte. Der Nicht¬<lb/>
wirkliche nahm be&#x017F;cheiden in der andern Ecke Platz.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und dann, warum mü&#x017F;&#x017F;en Sie mit jeder Schürze<lb/>
auf der Straße Conver&#x017F;ation anfangen, und jedes<lb/>
hüb&#x017F;che Dien&#x017F;tmädchen in die Backen kneifen?&#x201C;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Mon Dieu,</hi> auch das ein Verbrechen, wenn das<lb/>
Herz uns treibt, un&#x017F;ere Mitmen&#x017F;chen zu uns zu er¬<lb/>
heben! <hi rendition="#aq">Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspi¬<lb/>
ration d'un coeur humain.&#x201C;</hi></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0123] „Menſchenkenntniß, Herr Geheimerath. Lernt man in der Schwäche ſich nicht ſelbſt am beſten kennen?“ „Das will ich gelten laſſen. Darum ſchickte ein gewiſſer Jemand auch wohl ſeine Pantoffeln in das Haus.“ Der Geheimerath ſenkte den Blick: „So viel mir bekannt, ſind dieſe ſchon vor Monaten wieder abgeholt.“ „Das iſt ſehr klug von dem Jemand gehandelt. Denn, merken Sie noch etwas, eine Polizeiordre iſt unter der Feder, in dieſen Häuſern ſoll künftig eine Präſenzliſte geführt werden. Wer aus- und eingeht, muß ſeinen Namen einſchreiben. An jedem Morgen wird der Polizeipräſident wiſſen, wer ſie beſucht hat, und die Beamten werden höhern Orts gemeldet.“ Die beiden Geheimeräthe ſahen ſich unwillkürlich mit einem wunderbaren Blicke an. Es entſtand eine Pauſe. Eine vertraulichere Stimmung ſchien zwiſchen dem Wirklichen und dem Nichtwirklichen eingetreten, als jener nach einem kurzen Ambuliren ſeine ver¬ ſchanzte Stellung im Stich laſſend, ſich mit über¬ kreuzten Beinen auf das Sopha ſetzte. Der Nicht¬ wirkliche nahm beſcheiden in der andern Ecke Platz. „Und dann, warum müſſen Sie mit jeder Schürze auf der Straße Converſation anfangen, und jedes hübſche Dienſtmädchen in die Backen kneifen?“ „Mon Dieu, auch das ein Verbrechen, wenn das Herz uns treibt, unſere Mitmenſchen zu uns zu er¬ heben! Je vous proteste, ce n'est rien que l'inspi¬ ration d'un coeur humain.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/123
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/123>, abgerufen am 06.05.2024.