Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

Bild:
<< vorherige Seite

Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Ueberall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dunkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht des Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag."

Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem grossen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem

Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Ueberall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dunkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht des Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag.“

Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem grossen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0125" n="106"/>
        <p> Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Ueberall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dunkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht des Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag.&#x201C;</p>
        <p>Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem grossen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0125] Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Ueberall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dunkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht des Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag.“ Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem grossen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-02-11T11:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-11T11:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-02-11T11:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/125
Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/125>, abgerufen am 04.05.2024.