Du kannst Dir denken, wie mir die Worte durch's Herz schneiden mußten. Ich erklärte ihr, ich sei nicht das, wofür man mich anzusehen schien; ich sei nur ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das einzige Geheimniß zwischen ihr und mir sein sol- le, weil ich nicht noch ohne Hoffnung sei, daß er gelöst werde. Dies sei das Gift meiner Tage: daß ich sie mit in den Abgrund hinreißen könne, sie, die das einzige Licht, das einzige Glück, das einzige Herz meines Lebens sei. Dann weinte sie wieder, daß ich unglücklich war. Ach, sie war so liebevoll, so gut! Um Eine Thräne nur mir zu erkaufen, hätte sie, mit welcher Seligkeit, sich selbst ganz hingeopfert.
Sie war indeß weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, sie ahnete nun in mir irgend einen Fürsten, den ein schwerer Bann getroffen, irgend ein hohes, geächtetes Haupt, und ihre Einbildungskraft malte sich geschäftig unter he- roischen Bildern den Geliebten herrlich aus.
Einst sagte ich ihr: "Mina, der letzte Tag im künftigen Monat kann mein Schicksal ändern
*
Du kannſt Dir denken, wie mir die Worte durch’s Herz ſchneiden mußten. Ich erklärte ihr, ich ſei nicht das, wofür man mich anzuſehen ſchien; ich ſei nur ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das einzige Geheimniß zwiſchen ihr und mir ſein ſol- le, weil ich nicht noch ohne Hoffnung ſei, daß er gelöſt werde. Dies ſei das Gift meiner Tage: daß ich ſie mit in den Abgrund hinreißen könne, ſie, die das einzige Licht, das einzige Glück, das einzige Herz meines Lebens ſei. Dann weinte ſie wieder, daß ich unglücklich war. Ach, ſie war ſo liebevoll, ſo gut! Um Eine Thräne nur mir zu erkaufen, hätte ſie, mit welcher Seligkeit, ſich ſelbſt ganz hingeopfert.
Sie war indeß weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, ſie ahnete nun in mir irgend einen Fürſten, den ein ſchwerer Bann getroffen, irgend ein hohes, geächtetes Haupt, und ihre Einbildungskraft malte ſich geſchäftig unter he- roiſchen Bildern den Geliebten herrlich aus.
Einſt ſagte ich ihr: «Mina, der letzte Tag im künftigen Monat kann mein Schickſal ändern
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Du kannſt Dir denken, wie mir die Worte
durch’s Herz ſchneiden mußten. Ich erklärte ihr,
ich ſei nicht das, wofür man mich anzuſehen
ſchien; ich ſei nur ein reicher, aber unendlich
elender Mann. Auf mir ruhe ein Fluch, der das
einzige Geheimniß zwiſchen ihr und mir ſein ſol-
le, weil ich nicht noch ohne Hoffnung ſei, daß
er gelöſt werde. Dies ſei das Gift meiner Tage:
daß ich ſie mit in den Abgrund hinreißen könne,
ſie, die das einzige Licht, das einzige Glück, das
einzige Herz meines Lebens ſei. Dann weinte
ſie wieder, daß ich unglücklich war. Ach, ſie war
ſo liebevoll, ſo gut! Um Eine Thräne nur mir
zu erkaufen, hätte ſie, mit welcher Seligkeit, ſich
ſelbſt ganz hingeopfert.
Sie war indeß weit entfernt, meine Worte
richtig zu deuten, ſie ahnete nun in mir irgend
einen Fürſten, den ein ſchwerer Bann getroffen,
irgend ein hohes, geächtetes Haupt, und ihre
Einbildungskraft malte ſich geſchäftig unter he-
roiſchen Bildern den Geliebten herrlich aus.
Einſt ſagte ich ihr: «Mina, der letzte Tag
im künftigen Monat kann mein Schickſal ändern
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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/77>, abgerufen am 27.07.2024.
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