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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

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gefesselt, sie wußte in ihrer Demuth nicht, wo-
mit sie werth gewesen, daß ich nur nach ihr ge-
blickt; und sie vergalt Liebe um Liebe mit der vol-
len jugendlichen Kraft eines unschuldigen Herzens.
Sie liebte wie ein Weib, ganz hin sich opfernd;
selbst vergessen, hingegeben den nur meinend, der
ihr Leben war, unbekümmert, solle sie selbst zu
Grunde gehen, das heißt, sie liebte wirklich. --

Ich aber -- o welche schreckliche Stunden --
schrecklich! und würdig dennoch, daß ich sie zu-
rückwünsche -- hab' ich oft an Bendels Brust
verweint, als nach dem ersten bewußtlosen Rausch
ich mich besonnen, mich selbst scharf angeschaut,
der ich, ohne Schatten, mit tückischer Selbstsucht
diesen Engel verderbend, die reine Seele an mich
gelogen und gestolen! Dann beschloß ich, mich
ihr selber zu verrathen; dann gelobt' ich mit theu-
ren Eidschwüren, mich von ihr zu reißen und zu
entfliehen; dann brach ich wieder in Thränen aus
und verabredete mit Bendel'n, wie ich sie auf
den Abend im Förstergarten besuchen wolle. --

Zu andern Zeiten log ich mir selber vom
nahe bevorstehenden Besuch des grauen Unbe-

gefeſſelt, ſie wußte in ihrer Demuth nicht, wo-
mit ſie werth geweſen, daß ich nur nach ihr ge-
blickt; und ſie vergalt Liebe um Liebe mit der vol-
len jugendlichen Kraft eines unſchuldigen Herzens.
Sie liebte wie ein Weib, ganz hin ſich opfernd;
ſelbſt vergeſſen, hingegeben den nur meinend, der
ihr Leben war, unbekümmert, ſolle ſie ſelbſt zu
Grunde gehen, das heißt, ſie liebte wirklich. —

Ich aber — o welche ſchreckliche Stunden —
ſchrecklich! und würdig dennoch, daß ich ſie zu-
rückwünſche — hab’ ich oft an Bendels Bruſt
verweint, als nach dem erſten bewußtloſen Rauſch
ich mich beſonnen, mich ſelbſt ſcharf angeſchaut,
der ich, ohne Schatten, mit tückiſcher Selbſtſucht
dieſen Engel verderbend, die reine Seele an mich
gelogen und geſtolen! Dann beſchloß ich, mich
ihr ſelber zu verrathen; dann gelobt’ ich mit theu-
ren Eidſchwüren, mich von ihr zu reißen und zu
entfliehen; dann brach ich wieder in Thränen aus
und verabredete mit Bendel’n, wie ich ſie auf
den Abend im Förſtergarten beſuchen wolle. —

Zu andern Zeiten log ich mir ſelber vom
nahe bevorſtehenden Beſuch des grauen Unbe-

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[64/0074] gefeſſelt, ſie wußte in ihrer Demuth nicht, wo- mit ſie werth geweſen, daß ich nur nach ihr ge- blickt; und ſie vergalt Liebe um Liebe mit der vol- len jugendlichen Kraft eines unſchuldigen Herzens. Sie liebte wie ein Weib, ganz hin ſich opfernd; ſelbſt vergeſſen, hingegeben den nur meinend, der ihr Leben war, unbekümmert, ſolle ſie ſelbſt zu Grunde gehen, das heißt, ſie liebte wirklich. — Ich aber — o welche ſchreckliche Stunden — ſchrecklich! und würdig dennoch, daß ich ſie zu- rückwünſche — hab’ ich oft an Bendels Bruſt verweint, als nach dem erſten bewußtloſen Rauſch ich mich beſonnen, mich ſelbſt ſcharf angeſchaut, der ich, ohne Schatten, mit tückiſcher Selbſtſucht dieſen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und geſtolen! Dann beſchloß ich, mich ihr ſelber zu verrathen; dann gelobt’ ich mit theu- ren Eidſchwüren, mich von ihr zu reißen und zu entfliehen; dann brach ich wieder in Thränen aus und verabredete mit Bendel’n, wie ich ſie auf den Abend im Förſtergarten beſuchen wolle. — Zu andern Zeiten log ich mir ſelber vom nahe bevorſtehenden Beſuch des grauen Unbe-

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/74>, abgerufen am 27.07.2024.