Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

ten Strich des Waldes seine Verwüstung ver-
breitet hatte. Mich schauderte innerlich vor dem
sonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vor-
angehen. Er hielt aber mitten im gefährlichen
Orte still und wandte sich zu mir, um mir die
Geschichte dieser Verwüstung zu erzählen. Er
bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit-
ten in seiner Rede ein: "Aber wie geht denn
das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!" --
"Leider! leider!" erwiederte ich seufzend. "Es
sind mir während einer bösen langen Krankheit
Haare, Nägel und Schatten ausgegangen. Seht,
Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wie-
der gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel sehr
kurz, und der Schatten, der will noch nicht wie-
der wachsen." -- "Ei! ei!" versetzte der alte
Mann kopfschüttelnd, "keinen Schatten, das ist
bös! das war eine böse Krankheit, die der Herr
gehabt hat." Aber er hub seine Erzählung nicht
wieder an, und bei dem nächsten Querweg, der
sich darbot, ging er, ohne ein Wort zu sagen,
von mir ab. -- Bittere Thränen zitterten auf's
Neue auf meinen Wangen, und meine Heiter-
keit war hin.

ten Strich des Waldes ſeine Verwüſtung ver-
breitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem
ſonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vor-
angehen. Er hielt aber mitten im gefährlichen
Orte ſtill und wandte ſich zu mir, um mir die
Geſchichte dieſer Verwüſtung zu erzählen. Er
bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit-
ten in ſeiner Rede ein: «Aber wie geht denn
das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!» —
«Leider! leider!» erwiederte ich ſeufzend. «Es
ſind mir während einer böſen langen Krankheit
Haare, Nägel und Schatten ausgegangen. Seht,
Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wie-
der gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel ſehr
kurz, und der Schatten, der will noch nicht wie-
der wachſen.» — «Ei! ei!» verſetzte der alte
Mann kopfſchüttelnd, «keinen Schatten, das iſt
bös! das war eine böſe Krankheit, die der Herr
gehabt hat.» Aber er hub ſeine Erzählung nicht
wieder an, und bei dem nächſten Querweg, der
ſich darbot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen,
von mir ab. — Bittere Thränen zitterten auf’s
Neue auf meinen Wangen, und meine Heiter-
keit war hin.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="122"/>
ten Strich des Waldes &#x017F;eine Verwü&#x017F;tung ver-<lb/>
breitet hatte. Mich &#x017F;chauderte innerlich vor dem<lb/>
&#x017F;onnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vor-<lb/>
angehen. Er hielt aber mitten im gefährlichen<lb/>
Orte &#x017F;till und wandte &#x017F;ich zu mir, um mir die<lb/>
Ge&#x017F;chichte die&#x017F;er Verwü&#x017F;tung zu erzählen. Er<lb/>
bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit-<lb/>
ten in &#x017F;einer Rede ein: «Aber wie geht denn<lb/>
das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!» &#x2014;<lb/>
«Leider! leider!» erwiederte ich &#x017F;eufzend. «Es<lb/>
&#x017F;ind mir während einer bö&#x017F;en langen Krankheit<lb/>
Haare, Nägel und Schatten ausgegangen. Seht,<lb/>
Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wie-<lb/>
der gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel &#x017F;ehr<lb/>
kurz, und der Schatten, der will noch nicht wie-<lb/>
der wach&#x017F;en.» &#x2014; «Ei! ei!» ver&#x017F;etzte der alte<lb/>
Mann kopf&#x017F;chüttelnd, «keinen Schatten, das i&#x017F;t<lb/>
bös! das war eine bö&#x017F;e Krankheit, die der Herr<lb/>
gehabt hat.» Aber er hub &#x017F;eine Erzählung nicht<lb/>
wieder an, und bei dem näch&#x017F;ten Querweg, der<lb/>
&#x017F;ich darbot, ging er, ohne ein Wort zu &#x017F;agen,<lb/>
von mir ab. &#x2014; Bittere Thränen zitterten auf&#x2019;s<lb/>
Neue auf meinen Wangen, und meine Heiter-<lb/>
keit war hin.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0140] ten Strich des Waldes ſeine Verwüſtung ver- breitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vor- angehen. Er hielt aber mitten im gefährlichen Orte ſtill und wandte ſich zu mir, um mir die Geſchichte dieſer Verwüſtung zu erzählen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit- ten in ſeiner Rede ein: «Aber wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten!» — «Leider! leider!» erwiederte ich ſeufzend. «Es ſind mir während einer böſen langen Krankheit Haare, Nägel und Schatten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wie- der gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel ſehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht wie- der wachſen.» — «Ei! ei!» verſetzte der alte Mann kopfſchüttelnd, «keinen Schatten, das iſt bös! das war eine böſe Krankheit, die der Herr gehabt hat.» Aber er hub ſeine Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächſten Querweg, der ſich darbot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. — Bittere Thränen zitterten auf’s Neue auf meinen Wangen, und meine Heiter- keit war hin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/140
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/140>, abgerufen am 24.11.2024.