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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat

Hatte uns kurtz zuvor seine ankunft bestürtzt ge-
macht/ so machte uns sein so jähligen entstandenes
scheiden noch tausendmahl bestürtzter. Uns war eben
zu muhte/ als wan wir nur einen flüchtigen schatten
gesehen. Es war auch in der taht ein schatte. Dan
als wir vermeinten ihn in den händen zu haben/ flohe
er darvon; und wir hatten weniger/ als nichts. Nie-
mand war mehr betrogen/ als wir. Wir alle hatten
gehoffet/ wir würden nunmehr seiner geselschaft lange
zeit geniessen. Aber diese Hofnung ward uns zu wasser.
Kein schnee kan von der sonnenhitze schneller zerschmel-
tzen/ als dieselbe zerschmaltz. Ja mit ihr zerschmaltz
auch/ und ward vereitelt alle unsere lust/ alle unsere freu-
de: darauf sich das gantze Frauenzimmer gespitzet. Hier-
vor hatte es nun nichts anders/ als unlust und trau-
ren. Wan ich an meine Fürstin gedenke/ wie sie über
seinen verlust so jämmerlich kärmete/ so hertzlich erseuf-
zete; so deucht mich/ ich werde noch itzund/ aus erbärm-
nüs/ mit wehleiden geschlagen. Von andern wil ich
nicht sagen: die immer eine die andere/ durch wehkla-
gen/ zum wehleiden anreitzeten.

Josef hatte diese reden halb mit verdrusse/ halb mit
vergnügung angehöret. Es verdros ihn/ daß man sich
alzuviel an seiner so nichtigen schönheit vergaffete/ ja
gar vernarrete. Hingegen vergnügte ihn zugleich/ daß
man dadurch gleichsam ein hertzliches mitleiden/ seines
elendes wegen/ und ein so guhtes gemühte/ ihm dasselbe
zu benehmen/ oder zum wenigsten zu erleichtern/ spüh-
ren liesse. Die Jungfrau wolte noch mehr erzehlen:
aber Josef fing ihr das wort auf. Ach! sagte er/ was
kan doch schönes sein an einem so elenden und verstoße-
nem menschen/ als ich bin? Es ist eine bloße höfligkeit/
ja übermäßige guhtahrtigkeit des Egiptischen Frauen-
zimmers/ daß es einen armen fremdling/ einen sonst
verachteten Leibeignen so gar hoch erhöbet. Wiewohl

ich
Der Aſſenat

Hatte uns kurtz zuvor ſeine ankunft beſtuͤrtzt ge-
macht/ ſo machte uns ſein ſo jaͤhligen entſtandenes
ſcheiden noch tauſendmahl beſtuͤrtzter. Uns war eben
zu muhte/ als wan wir nur einen fluͤchtigen ſchatten
geſehen. Es war auch in der taht ein ſchatte. Dan
als wir vermeinten ihn in den haͤnden zu haben/ flohe
er darvon; und wir hatten weniger/ als nichts. Nie-
mand war mehr betrogen/ als wir. Wir alle hatten
gehoffet/ wir wuͤrden nunmehr ſeiner geſelſchaft lange
zeit genieſſen. Aber dieſe Hofnung ward uns zu waſſer.
Kein ſchnee kan von der ſonnenhitze ſchneller zerſchmel-
tzen/ als dieſelbe zerſchmaltz. Ja mit ihr zerſchmaltz
auch/ und ward vereitelt alle unſere luſt/ alle unſere freu-
de: darauf ſich das gantze Frauenzimmer geſpitzet. Hier-
vor hatte es nun nichts anders/ als unluſt und trau-
ren. Wan ich an meine Fuͤrſtin gedenke/ wie ſie uͤber
ſeinen verluſt ſo jaͤmmerlich kaͤrmete/ ſo hertzlich erſeuf-
zete; ſo deucht mich/ ich werde noch itzund/ aus erbaͤrm-
nuͤs/ mit wehleiden geſchlagen. Von andern wil ich
nicht ſagen: die immer eine die andere/ durch wehkla-
gen/ zum wehleiden anreitzeten.

Joſef hatte dieſe reden halb mit verdruſſe/ halb mit
vergnuͤgung angehoͤret. Es verdros ihn/ daß man ſich
alzuviel an ſeiner ſo nichtigen ſchoͤnheit vergaffete/ ja
gar vernarrete. Hingegen vergnuͤgte ihn zugleich/ daß
man dadurch gleichſam ein hertzliches mitleiden/ ſeines
elendes wegen/ und ein ſo guhtes gemuͤhte/ ihm daſſelbe
zu benehmen/ oder zum wenigſten zu erleichtern/ ſpuͤh-
ren lieſſe. Die Jungfrau wolte noch mehr erzehlen:
aber Joſef fing ihr das wort auf. Ach! ſagte er/ was
kan doch ſchoͤnes ſein an einem ſo elenden und verſtoße-
nem menſchen/ als ich bin? Es iſt eine bloße hoͤfligkeit/
ja uͤbermaͤßige guhtahrtigkeit des Egiptiſchen Frauen-
zimmers/ daß es einen armen fremdling/ einen ſonſt
verachteten Leibeignen ſo gar hoch erhoͤbet. Wiewohl

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[20/0044] Der Aſſenat Hatte uns kurtz zuvor ſeine ankunft beſtuͤrtzt ge- macht/ ſo machte uns ſein ſo jaͤhligen entſtandenes ſcheiden noch tauſendmahl beſtuͤrtzter. Uns war eben zu muhte/ als wan wir nur einen fluͤchtigen ſchatten geſehen. Es war auch in der taht ein ſchatte. Dan als wir vermeinten ihn in den haͤnden zu haben/ flohe er darvon; und wir hatten weniger/ als nichts. Nie- mand war mehr betrogen/ als wir. Wir alle hatten gehoffet/ wir wuͤrden nunmehr ſeiner geſelſchaft lange zeit genieſſen. Aber dieſe Hofnung ward uns zu waſſer. Kein ſchnee kan von der ſonnenhitze ſchneller zerſchmel- tzen/ als dieſelbe zerſchmaltz. Ja mit ihr zerſchmaltz auch/ und ward vereitelt alle unſere luſt/ alle unſere freu- de: darauf ſich das gantze Frauenzimmer geſpitzet. Hier- vor hatte es nun nichts anders/ als unluſt und trau- ren. Wan ich an meine Fuͤrſtin gedenke/ wie ſie uͤber ſeinen verluſt ſo jaͤmmerlich kaͤrmete/ ſo hertzlich erſeuf- zete; ſo deucht mich/ ich werde noch itzund/ aus erbaͤrm- nuͤs/ mit wehleiden geſchlagen. Von andern wil ich nicht ſagen: die immer eine die andere/ durch wehkla- gen/ zum wehleiden anreitzeten. Joſef hatte dieſe reden halb mit verdruſſe/ halb mit vergnuͤgung angehoͤret. Es verdros ihn/ daß man ſich alzuviel an ſeiner ſo nichtigen ſchoͤnheit vergaffete/ ja gar vernarrete. Hingegen vergnuͤgte ihn zugleich/ daß man dadurch gleichſam ein hertzliches mitleiden/ ſeines elendes wegen/ und ein ſo guhtes gemuͤhte/ ihm daſſelbe zu benehmen/ oder zum wenigſten zu erleichtern/ ſpuͤh- ren lieſſe. Die Jungfrau wolte noch mehr erzehlen: aber Joſef fing ihr das wort auf. Ach! ſagte er/ was kan doch ſchoͤnes ſein an einem ſo elenden und verſtoße- nem menſchen/ als ich bin? Es iſt eine bloße hoͤfligkeit/ ja uͤbermaͤßige guhtahrtigkeit des Egiptiſchen Frauen- zimmers/ daß es einen armen fremdling/ einen ſonſt verachteten Leibeignen ſo gar hoch erhoͤbet. Wiewohl ich

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/44>, abgerufen am 27.04.2024.