lui." -- Welch schöner Gedanke, sich als bewußter Altar, wor- auf gebetet wird, vorzustellen! Eine schöne Vorstellung! So sagt man von einem schönen theatralischen Gedicht. So nennt man es gradezu. Ein Gedicht ist eine halbe Schöpfung: und darum ein Fest, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr als man gewöhnlich denkt. So sehe ich diesen ganzen Gedan- ken von Saint-Martin an.
Nr. 648. "Avant de nous livrer a des actes importans, nous aurons trois conseils a consulter: 1) si nous pouvons; 2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent lieu de volonte on de desir, et ce sont nos volontes et nos desirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voila pourquoi il y a tant de deceptions et d'infortunes parmi les hommes." Man hält dies für sehr einfach; aber es ist stark und außer- ordentlich gesehen. Mir fällt aber dabei ein: "Erlaubt ist, was gefällt." Sollen und Wollen ist Eins; und sollte nicht gestört sein. --
Montag, den 25. November 1822. (1825. "Si nous voulons", ist so scharfsinnig und kundig!)
Nr. 674. "Une de mes plus utiles voies a ete de viser constamment et opiniatrement au tout a l'heure, au tout entier, au partout, et au perpetuellement. Dahin zu zielen ist die Beschaffenheit der menschlichen Seele. Leider vergehen uns die Kräfte im Weltverkehr so oft dazu; (mir, trotz der klarsten Überzeugung: das ist, weil man nicht nur sich, son- dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir
lui.“ — Welch ſchöner Gedanke, ſich als bewußter Altar, wor- auf gebetet wird, vorzuſtellen! Eine ſchöne Vorſtellung! So ſagt man von einem ſchönen theatraliſchen Gedicht. So nennt man es gradezu. Ein Gedicht iſt eine halbe Schöpfung: und darum ein Feſt, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr als man gewöhnlich denkt. So ſehe ich dieſen ganzen Gedan- ken von Saint-Martin an.
Nr. 648. „Avant de nous livrer à des actes importans, nous aurons trois conseils à consulter: 1) si nous pouvons; 2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent lieu de volonté on de désir, et ce sont nos volontés et nos désirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voilà pourquoi il y a tant de déceptions et d’infortunes parmi les hommes.“ Man hält dies für ſehr einfach; aber es iſt ſtark und außer- ordentlich geſehen. Mir fällt aber dabei ein: „Erlaubt iſt, was gefällt.“ Sollen und Wollen iſt Eins; und ſollte nicht geſtört ſein. —
Montag, den 25. November 1822. (1825. „Si nous voulons“, iſt ſo ſcharfſinnig und kundig!)
Nr. 674. „Une de mes plus utiles voies a été de viser constamment et opiniâtrement au tout à l’heure, au tout entier, au partout, et au perpétuellement. Dahin zu zielen iſt die Beſchaffenheit der menſchlichen Seele. Leider vergehen uns die Kräfte im Weltverkehr ſo oft dazu; (mir, trotz der klarſten Überzeugung: das iſt, weil man nicht nur ſich, ſon- dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0090"n="82"/><hirendition="#aq">lui.“</hi>— Welch ſchöner Gedanke, ſich als bewußter Altar, wor-<lb/>
auf gebetet wird, vorzuſtellen! Eine ſchöne Vorſtellung! So<lb/>ſagt man von einem ſchönen theatraliſchen Gedicht. So nennt<lb/>
man es gradezu. Ein Gedicht iſt eine halbe Schöpfung: und<lb/>
darum ein Feſt, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr<lb/>
als man gewöhnlich denkt. So ſehe ich dieſen ganzen Gedan-<lb/>
ken von Saint-Martin an.</p><lb/><p>Nr. 648. <hirendition="#aq">„Avant de nous livrer à des actes importans,<lb/>
nous aurons trois conseils à consulter: 1) si nous pouvons;<lb/>
2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement<lb/>
presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent<lb/>
lieu de volonté on de désir, et ce sont nos volontés et nos<lb/>
désirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voilà pourquoi il<lb/>
y a tant de déceptions et d’infortunes parmi les hommes.“</hi><lb/>
Man hält dies für ſehr einfach; aber es iſt ſtark und außer-<lb/>
ordentlich geſehen. Mir fällt aber dabei ein: „Erlaubt iſt,<lb/>
was gefällt.“ Sollen und Wollen iſt Eins; und ſollte nicht<lb/>
geſtört ſein. —</p><lb/><dateline><hirendition="#et">Montag, den 25. November 1822.<lb/>
(1825. <hirendition="#aq">„Si nous voulons“,</hi> iſt ſo ſcharfſinnig und kundig!)</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Nr. 674. <hirendition="#aq">„Une de mes plus utiles voies a été de viser<lb/>
constamment et opiniâtrement au tout <hirendition="#i">à l’heure</hi>, au <hirendition="#i">tout<lb/>
entier</hi>, au <hirendition="#i">partout</hi>, et au <hirendition="#i">perpétuellement</hi>.</hi> Dahin zu zielen<lb/>
iſt die Beſchaffenheit der menſchlichen Seele. Leider vergehen<lb/>
uns die Kräfte im Weltverkehr ſo oft dazu; (mir, trotz der<lb/>
klarſten Überzeugung: das iſt, weil man nicht nur ſich, ſon-<lb/>
dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[82/0090]
lui.“ — Welch ſchöner Gedanke, ſich als bewußter Altar, wor-
auf gebetet wird, vorzuſtellen! Eine ſchöne Vorſtellung! So
ſagt man von einem ſchönen theatraliſchen Gedicht. So nennt
man es gradezu. Ein Gedicht iſt eine halbe Schöpfung: und
darum ein Feſt, ein Spiel, keine Arbeit; halbe Freiheit: mehr
als man gewöhnlich denkt. So ſehe ich dieſen ganzen Gedan-
ken von Saint-Martin an.
Nr. 648. „Avant de nous livrer à des actes importans,
nous aurons trois conseils à consulter: 1) si nous pouvons;
2) si nous voulons; 3) si nous devons. Malheureusement
presque toujours ce sont les circonstances qui nous tiennent
lieu de volonté on de désir, et ce sont nos volontés et nos
désirs qui nous tiennent lieu de devoirs. Voilà pourquoi il
y a tant de déceptions et d’infortunes parmi les hommes.“
Man hält dies für ſehr einfach; aber es iſt ſtark und außer-
ordentlich geſehen. Mir fällt aber dabei ein: „Erlaubt iſt,
was gefällt.“ Sollen und Wollen iſt Eins; und ſollte nicht
geſtört ſein. —
Montag, den 25. November 1822.
(1825. „Si nous voulons“, iſt ſo ſcharfſinnig und kundig!)
Nr. 674. „Une de mes plus utiles voies a été de viser
constamment et opiniâtrement au tout à l’heure, au tout
entier, au partout, et au perpétuellement. Dahin zu zielen
iſt die Beſchaffenheit der menſchlichen Seele. Leider vergehen
uns die Kräfte im Weltverkehr ſo oft dazu; (mir, trotz der
klarſten Überzeugung: das iſt, weil man nicht nur ſich, ſon-
dern auch Andere zu zwingen hätte): für den Plan, den wir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/90>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.