das des meinigen, noch das meiner Geschwister, noch das mei- ner Eltern ihrem nicht; und nur im festgestampften Alter, habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt, aber nie ihre Datums zu behalten, -- außer Goethens und unserm König seines. -- Also Nachsicht und Verzeihung mit der Altfränkischen! Sie werden doch gestehen, daß selbst noch in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage herrschten, wie sie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen, Eisenbahnen, Gedanken-Perspektive werden noch kommen (mit denen man Gedanken durch die Köpfe sieht), Wetter- macher, und ganz neue, uns unbekannte Feste. Ich lade Sie und mich schon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird nicht mehr zu denken sein: das ist eine inadvertance, und da- gegen wird zuerst gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu! Heute ist ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben, als sich von mir umherführen zu lassen. Heil und Segen zu dem Feste, und jeder Tag sei Ihnen und den Ihrigen eins! Die alte Freundin Friederike Varnhagen.
Was man Leben nennt, und was es auch ist, heißt eigent- lich nicht an seinen Anfang noch an sein Ende denken; dar- über durch Sensationen und Geisteskombinationen zerstreut sein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben so das Le- ben an sich vorbei gehen lassen können, -- nicht Eitle und Prahler, die leben gar nicht, -- oder Solche, die ein festes Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche, die aufrichtig das Wunder des Daseins betrachten, dies ohne vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem studiren; und
noch
das des meinigen, noch das meiner Geſchwiſter, noch das mei- ner Eltern ihrem nicht; und nur im feſtgeſtampften Alter, habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt, aber nie ihre Datums zu behalten, — außer Goethens und unſerm König ſeines. — Alſo Nachſicht und Verzeihung mit der Altfränkiſchen! Sie werden doch geſtehen, daß ſelbſt noch in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage herrſchten, wie ſie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen, Eiſenbahnen, Gedanken-Perſpektive werden noch kommen (mit denen man Gedanken durch die Köpfe ſieht), Wetter- macher, und ganz neue, uns unbekannte Feſte. Ich lade Sie und mich ſchon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird nicht mehr zu denken ſein: das iſt eine inadvertance, und da- gegen wird zuerſt gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu! Heute iſt ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben, als ſich von mir umherführen zu laſſen. Heil und Segen zu dem Feſte, und jeder Tag ſei Ihnen und den Ihrigen eins! Die alte Freundin Friederike Varnhagen.
Was man Leben nennt, und was es auch iſt, heißt eigent- lich nicht an ſeinen Anfang noch an ſein Ende denken; dar- über durch Senſationen und Geiſteskombinationen zerſtreut ſein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben ſo das Le- ben an ſich vorbei gehen laſſen können, — nicht Eitle und Prahler, die leben gar nicht, — oder Solche, die ein feſtes Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche, die aufrichtig das Wunder des Daſeins betrachten, dies ohne vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem ſtudiren; und
noch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0598"n="590"/>
das des meinigen, noch das meiner Geſchwiſter, noch das mei-<lb/>
ner Eltern ihrem nicht; und nur im feſtgeſtampften Alter,<lb/>
habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt,<lb/>
aber nie ihre Datums zu behalten, — außer Goethens und<lb/>
unſerm König ſeines. — Alſo Nachſicht und Verzeihung mit<lb/>
der Altfränkiſchen! Sie werden doch geſtehen, daß ſelbſt noch<lb/>
in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage<lb/>
herrſchten, wie ſie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen,<lb/>
Eiſenbahnen, Gedanken-Perſpektive werden noch kommen<lb/>
(mit denen man Gedanken durch die Köpfe ſieht), Wetter-<lb/>
macher, und <hirendition="#g">ganz</hi> neue, uns unbekannte Feſte. Ich lade<lb/>
Sie und mich ſchon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird<lb/>
nicht mehr zu denken ſein: das iſt eine <hirendition="#aq">inadvertance,</hi> und da-<lb/>
gegen wird zuerſt gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu!<lb/>
Heute iſt ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben,<lb/>
als ſich von mir umherführen zu laſſen. Heil und Segen<lb/>
zu dem Feſte, und jeder Tag ſei Ihnen und den Ihrigen eins!<lb/>
Die alte Freundin Friederike Varnhagen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Was man Leben nennt, und was es auch iſt, heißt eigent-<lb/>
lich nicht an ſeinen Anfang noch an ſein Ende denken; dar-<lb/>
über durch Senſationen und Geiſteskombinationen zerſtreut<lb/>ſein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben ſo das Le-<lb/>
ben an ſich vorbei gehen laſſen können, — nicht Eitle und<lb/>
Prahler, die leben gar nicht, — oder Solche, die ein feſtes<lb/>
Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche,<lb/>
die aufrichtig das Wunder des Daſeins betrachten, dies ohne<lb/>
vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem ſtudiren; und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">noch</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[590/0598]
das des meinigen, noch das meiner Geſchwiſter, noch das mei-
ner Eltern ihrem nicht; und nur im feſtgeſtampften Alter,
habe ich mit der andern Jugend, Geburtstage kennen gelernt,
aber nie ihre Datums zu behalten, — außer Goethens und
unſerm König ſeines. — Alſo Nachſicht und Verzeihung mit
der Altfränkiſchen! Sie werden doch geſtehen, daß ſelbſt noch
in Ihrer Jugend, weder Weihnachten noch andre Geburtstage
herrſchten, wie ſie es jetzt thun. Luftballons, Telegraphen,
Eiſenbahnen, Gedanken-Perſpektive werden noch kommen
(mit denen man Gedanken durch die Köpfe ſieht), Wetter-
macher, und ganz neue, uns unbekannte Feſte. Ich lade
Sie und mich ſchon jetzt darauf ein: denn an Sterben wird
nicht mehr zu denken ſein: das iſt eine inadvertance, und da-
gegen wird zuerſt gewirkt werden. Aber plötzlich Adieu!
Heute iſt ein Tag, wo Sie anderes und mehr zu thun haben,
als ſich von mir umherführen zu laſſen. Heil und Segen
zu dem Feſte, und jeder Tag ſei Ihnen und den Ihrigen eins!
Die alte Freundin Friederike Varnhagen.
Was man Leben nennt, und was es auch iſt, heißt eigent-
lich nicht an ſeinen Anfang noch an ſein Ende denken; dar-
über durch Senſationen und Geiſteskombinationen zerſtreut
ſein. Kinder leben wirklich: oder Andre, die eben ſo das Le-
ben an ſich vorbei gehen laſſen können, — nicht Eitle und
Prahler, die leben gar nicht, — oder Solche, die ein feſtes
Bild für ein Leben nach dem Begraben haben; oder Solche,
die aufrichtig das Wunder des Daſeins betrachten, dies ohne
vorgefaßte Meinung immer wieder von neuem ſtudiren; und
noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/598>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.