Ich errieth, daß er aus einer schönen lieben Gegend ist: und so war es auch. Er ist aus Kreuznach, und hat eine Ode an diesen Ort in Prosa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt sein Vaterland. Weil er sieht, weil er seine Mutter, seine Schwestern liebt. --
Ich bin gestört durch Nettchen. Vorgestern war Götter- wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Gestern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo- lium pflücken und mitschicken, und nachher vergaß ich's doch. Adieu. Lesen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete darum. --
An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.
Berlin, den 27. Juni 1812.
Meine liebe Kousine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erst eine Post dahin; Sie sehen also, daß ich Ihren Wunsch eine schriftliche Nach- richt von mir zu haben, verstehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anschicke, und freue, daß ich den wenigstens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erst erfahren müssen, daß Ihre Schwester nicht mehr lebt: ich habe sie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht sehr, und ist mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinsterben: welches seit einigen Jahren mir zu
Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht, weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. —
Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter- wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo- lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch. Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete darum. —
An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.
Berlin, den 27. Juni 1812.
Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin; Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach- richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0050"n="42"/>
Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und<lb/>ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an<lb/>
dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat<lb/>
weinen machen. <hirendition="#g">Der</hi> liebt ſein Vaterland. Weil er <hirendition="#g">ſieht</hi>,<lb/>
weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. —</p><lb/><p>Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter-<lb/>
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz<lb/>
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.<lb/>
Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-<lb/>
lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch.<lb/>
Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.<lb/>
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,<lb/>
Luft; und bete <hirendition="#g">da</hi>rum. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 27. Juni 1812.</hi></dateline><lb/><p>Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief<lb/>
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin;<lb/>
Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach-<lb/>
richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich<lb/>
gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen<lb/>
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren<lb/>
müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur<lb/>
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und<lb/>
iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte<lb/>
um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[42/0050]
Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und
ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an
dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat
weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht,
weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt. —
Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter-
wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz
an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie.
Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo-
lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch.
Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald.
Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald,
Luft; und bete darum. —
An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.
Berlin, den 27. Juni 1812.
Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief
aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin;
Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach-
richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich
gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen
kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren
müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur
wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und
iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte
um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/50>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.