haft sein darf. Auch wir beide sprechen über Menschenschick- sal, wie ich mit Ihnen! Erst gestern bei einem Spazirgang. Nost. zum Beispiel, ist noch in Paris, in einer guten Lage: der schickte mir dieser Tage einen Brief: und auch der beklagt sich wie wir! -- und hat doch einen andern Karakter: aber die feine Seite in ihm leidet: ist unbefriedigt: so lebt er in hin und her wählen und überlegen, und sehnen, nach dem was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; strengt sich an, agitirt sich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes Zimmer unmöglich fällt. Wir müssen hier noch warten. Varn- hagen grüßt Sie sehr! Er wird alles, was er für Eßlair bereiten kann, thun, und seinen Freunden schreiben: ich will auch mit Worten, geschriebenen und gesprochenen, nicht karg sein. Für einen Mann wie Eßlair thät' ich gerne alles Gute: grüßen Sie ihn recht sehr von mir! --
An Moritz Robert, in Berlin.
Frankfurt a. M., Montag Mittag 2 Uhr den 29. Januar 1816.
Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.
Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten soll! denn alles möchte ich mit Eins fassen: so hat mich dein Brief angeregt, so alles in mir auf. Ich habe seit ich von zu Hause weg bin, nicht einen so großen persönlichen Eindruck em- pfunden. O! wollte doch nur das Wort persönlich so gut sein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber
haft ſein darf. Auch wir beide ſprechen über Menſchenſchick- ſal, wie ich mit Ihnen! Erſt geſtern bei einem Spazirgang. Noſt. zum Beiſpiel, iſt noch in Paris, in einer guten Lage: der ſchickte mir dieſer Tage einen Brief: und auch der beklagt ſich wie wir! — und hat doch einen andern Karakter: aber die feine Seite in ihm leidet: iſt unbefriedigt: ſo lebt er in hin und her wählen und überlegen, und ſehnen, nach dem was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; ſtrengt ſich an, agitirt ſich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes Zimmer unmöglich fällt. Wir müſſen hier noch warten. Varn- hagen grüßt Sie ſehr! Er wird alles, was er für Eßlair bereiten kann, thun, und ſeinen Freunden ſchreiben: ich will auch mit Worten, geſchriebenen und geſprochenen, nicht karg ſein. Für einen Mann wie Eßlair thät’ ich gerne alles Gute: grüßen Sie ihn recht ſehr von mir! —
An Moritz Robert, in Berlin.
Frankfurt a. M., Montag Mittag 2 Uhr den 29. Januar 1816.
Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.
Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten ſoll! denn alles möchte ich mit Eins faſſen: ſo hat mich dein Brief angeregt, ſo alles in mir auf. Ich habe ſeit ich von zu Hauſe weg bin, nicht einen ſo großen perſönlichen Eindruck em- pfunden. O! wollte doch nur das Wort perſönlich ſo gut ſein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0380"n="372"/>
haft ſein darf. Auch wir beide ſprechen über Menſchenſchick-<lb/>ſal, wie ich mit Ihnen! Erſt geſtern bei einem Spazirgang.<lb/>
Noſt. zum Beiſpiel, iſt noch in Paris, in einer guten Lage:<lb/>
der ſchickte mir dieſer Tage einen Brief: und auch der beklagt<lb/>ſich <hirendition="#g">wie</hi> wir! — und hat doch einen <hirendition="#g">andern</hi> Karakter: aber<lb/>
die <hirendition="#g">feine</hi> Seite in ihm <hirendition="#g">leidet</hi>: iſt unbefriedigt: ſo lebt er<lb/>
in hin und her wählen und überlegen, und ſehnen, nach dem<lb/>
was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; ſtrengt ſich an,<lb/>
agitirt ſich; und tadelt dies alles! <hirendition="#g">Ich</hi> habe ihm auf drei<lb/>
Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes<lb/>
Zimmer unmöglich fällt. Wir müſſen hier noch warten. Varn-<lb/>
hagen grüßt Sie ſehr! Er wird <hirendition="#g">alles</hi>, was er für Eßlair<lb/>
bereiten kann, thun, und ſeinen Freunden ſchreiben: ich will<lb/>
auch mit Worten, geſchriebenen und geſprochenen, nicht karg<lb/>ſein. Für einen Mann wie Eßlair thät’ ich gerne alles Gute:<lb/>
grüßen Sie ihn recht ſehr von mir! —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Moritz Robert, in Berlin.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Frankfurt a. M., Montag Mittag 2 Uhr den 29. Januar 1816.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.</hi></p><lb/><p>Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich<lb/>
herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten ſoll!<lb/>
denn alles möchte ich mit Eins faſſen: ſo hat mich dein Brief<lb/>
angeregt, ſo alles in mir auf. Ich habe ſeit ich von zu Hauſe<lb/>
weg bin, nicht einen ſo großen <hirendition="#g">perſönlichen</hi> Eindruck em-<lb/>
pfunden. O! wollte doch nur das Wort perſönlich ſo gut<lb/>ſein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[372/0380]
haft ſein darf. Auch wir beide ſprechen über Menſchenſchick-
ſal, wie ich mit Ihnen! Erſt geſtern bei einem Spazirgang.
Noſt. zum Beiſpiel, iſt noch in Paris, in einer guten Lage:
der ſchickte mir dieſer Tage einen Brief: und auch der beklagt
ſich wie wir! — und hat doch einen andern Karakter: aber
die feine Seite in ihm leidet: iſt unbefriedigt: ſo lebt er
in hin und her wählen und überlegen, und ſehnen, nach dem
was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; ſtrengt ſich an,
agitirt ſich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei
Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes
Zimmer unmöglich fällt. Wir müſſen hier noch warten. Varn-
hagen grüßt Sie ſehr! Er wird alles, was er für Eßlair
bereiten kann, thun, und ſeinen Freunden ſchreiben: ich will
auch mit Worten, geſchriebenen und geſprochenen, nicht karg
ſein. Für einen Mann wie Eßlair thät’ ich gerne alles Gute:
grüßen Sie ihn recht ſehr von mir! —
An Moritz Robert, in Berlin.
Frankfurt a. M., Montag Mittag 2 Uhr den 29. Januar 1816.
Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.
Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich
herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten ſoll!
denn alles möchte ich mit Eins faſſen: ſo hat mich dein Brief
angeregt, ſo alles in mir auf. Ich habe ſeit ich von zu Hauſe
weg bin, nicht einen ſo großen perſönlichen Eindruck em-
pfunden. O! wollte doch nur das Wort perſönlich ſo gut
ſein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/380>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.