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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 14. H. von der vernünfft. Kunst/
Namen der Natur/ oder etwas Guten für uns
selbst zu verbergen pfleget/ theils auch/ wenn sie
mit der andern oder den übrigen beyden starck
vermischet ist/ auch in andern Menschen/ schwei-
ge dann in uns selbst/ schwer zu kennen ist; Als
muß der Mensch/ der sich von der unvernünffti-
gen Liebe entreissen wil/ für allen Dingen allen
Fleiß anwenden/ diese herrschende
Passion
in sich selbst wohl und genau zu suchen/ daß
sie ihm nicht entwische/ indem ein jeder Mensch
bey sich befinden wird/ daß es zwar sehr leichte
sey/ anderer Menschen
ihre herrschende Be-
gierden zu erkennen/ zumahl/ wenn selbige die
andern Gemüths-Neigungen mercklich über-
treffen/ aber sehr schwer im Gegentheile zuge-
he/ bey sich selbst dieselbe zu erkennen. Denn
man siehet täglich/ daß grobe Vollsäuffer/ Hu-
rer/ Ehrsüchtige und Geld-Geitzige zwar von
andern ihres gleichen gar vernünfftig urtheilen
können/ wie dieselben sich von ihren Affecten zu
ihrem eigenen/ und anderer Leute Unglück beherr-
schen lassen; Aber wenn es an sie selbst gehet/ sind
sie gemeiniglich blind/ weil sie öffters auch/ in-
dem sie eben dergleichen Dinge thun/ andere be-
urtheilen.

9. Und weil dann diese Verblendung
durch den herrschenden Affect dem Menschlichen
Geschlechte auch in dem Fall/ da derselbe sonst
für den Augen aller andern Menschen entblösset
ist/ zu wiederfahren pfleget/ so kan man leicht ge-

den-

Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/
Namen der Natur/ oder etwas Guten fuͤr uns
ſelbſt zu verbergen pfleget/ theils auch/ wenn ſie
mit der andern oder den uͤbrigen beyden ſtarck
vermiſchet iſt/ auch in andern Menſchen/ ſchwei-
ge dann in uns ſelbſt/ ſchwer zu kennen iſt; Als
muß der Menſch/ der ſich von der unvernuͤnffti-
gen Liebe entreiſſen wil/ fuͤr allen Dingen allen
Fleiß anwenden/ dieſe herrſchende
Paſſion
in ſich ſelbſt wohl und genau zu ſuchen/ daß
ſie ihm nicht entwiſche/ indem ein jeder Menſch
bey ſich befinden wird/ daß es zwar ſehr leichte
ſey/ anderer Menſchen
ihre herrſchende Be-
gierden zu erkennen/ zumahl/ wenn ſelbige die
andern Gemuͤths-Neigungen mercklich uͤber-
treffen/ aber ſehr ſchwer im Gegentheile zuge-
he/ bey ſich ſelbſt dieſelbe zu erkennen. Denn
man ſiehet taͤglich/ daß grobe Vollſaͤuffer/ Hu-
rer/ Ehrſuͤchtige und Geld-Geitzige zwar von
andern ihres gleichen gar vernuͤnfftig urtheilen
koͤnnen/ wie dieſelben ſich von ihren Affecten zu
ihrem eigenen/ und anderer Leute Ungluͤck beherr-
ſchen laſſen; Aber wenn es an ſie ſelbſt gehet/ ſind
ſie gemeiniglich blind/ weil ſie oͤffters auch/ in-
dem ſie eben dergleichen Dinge thun/ andere be-
urtheilen.

9. Und weil dann dieſe Verblendung
durch den herrſchenden Affect dem Menſchlichen
Geſchlechte auch in dem Fall/ da derſelbe ſonſt
fuͤr den Augen aller andern Menſchen entbloͤſſet
iſt/ zu wiederfahren pfleget/ ſo kan man leicht ge-

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[466/0478] Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ Namen der Natur/ oder etwas Guten fuͤr uns ſelbſt zu verbergen pfleget/ theils auch/ wenn ſie mit der andern oder den uͤbrigen beyden ſtarck vermiſchet iſt/ auch in andern Menſchen/ ſchwei- ge dann in uns ſelbſt/ ſchwer zu kennen iſt; Als muß der Menſch/ der ſich von der unvernuͤnffti- gen Liebe entreiſſen wil/ fuͤr allen Dingen allen Fleiß anwenden/ dieſe herrſchende Paſſion in ſich ſelbſt wohl und genau zu ſuchen/ daß ſie ihm nicht entwiſche/ indem ein jeder Menſch bey ſich befinden wird/ daß es zwar ſehr leichte ſey/ anderer Menſchen ihre herrſchende Be- gierden zu erkennen/ zumahl/ wenn ſelbige die andern Gemuͤths-Neigungen mercklich uͤber- treffen/ aber ſehr ſchwer im Gegentheile zuge- he/ bey ſich ſelbſt dieſelbe zu erkennen. Denn man ſiehet taͤglich/ daß grobe Vollſaͤuffer/ Hu- rer/ Ehrſuͤchtige und Geld-Geitzige zwar von andern ihres gleichen gar vernuͤnfftig urtheilen koͤnnen/ wie dieſelben ſich von ihren Affecten zu ihrem eigenen/ und anderer Leute Ungluͤck beherr- ſchen laſſen; Aber wenn es an ſie ſelbſt gehet/ ſind ſie gemeiniglich blind/ weil ſie oͤffters auch/ in- dem ſie eben dergleichen Dinge thun/ andere be- urtheilen. 9. Und weil dann dieſe Verblendung durch den herrſchenden Affect dem Menſchlichen Geſchlechte auch in dem Fall/ da derſelbe ſonſt fuͤr den Augen aller andern Menſchen entbloͤſſet iſt/ zu wiederfahren pfleget/ ſo kan man leicht ge- den-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/478>, abgerufen am 26.04.2024.