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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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frage der Sprachphilosophie zu einer entschiedenen Ansicht und
einem klaren Begriffe gelangt ist, und andererseits zugestanden
werden muß, daß nicht bloß überall und längst die innere Sprach-
form geahnt worden ist, nicht bloß die neuere vergleichende Ety-
mologie ihren lexikalischen Theil fleißig bearbeitet hat, sondern
daß auch innerhalb der historischen Grammatik selbst die Be-
deutungslehre
aufgetaucht ist, die doch wohl nichts Anderes
sein wird, als die Darstellung der innern Sprachform. Reisig
ist der Urheber dieser Bedeutungslehre, die freilich bei ihm noch
einen sehr beschränkten Sinn hat, indem sie nur die Bedeutun-
gen der Wörter zum Gegenstande hat. Wir hoffen, daß es
seinem Herausgeber und Nachfolger Haase gelingen wird, das
begonnene Werk seines Lehrers glücklich fortzuführen. Es steht
ihm aber noch die Aufgabe bevor, die Bedeutungslehre wirklich
zu begründen, nur erst einmal ihr wahres Wesen und ihren Um-
fang, wie ihre allseitigen Beziehungen darzustellen, sei es theo-
retisch, begrifflich, oder an dem Beispiele einer besondern Gram-
matik. Pott und Benary haben Reisigs Idee sehr bereitwillig
anerkannt. Benary hat ihren Gegenstand erweitert, indem er
auch die Bedeutung der Wortformen hineinzog. Es will mir
aber kaum scheinen, als hätten sie die Sache richtig erfaßt:
sie würden sonst eben den Humboldtschen Begriff der innern
Sprachform besser erkannt haben. Die Bedeutungslehre kann
nicht im mindesten apriorisch sein; sie kann gar nichts mit der
Logik zu thun haben. Sie wird zunächst ganz individuell und
historisch sein, Bedeutungslehre der lateinischen, der griechischen
u. s. w., Sprache und wird ferner, in einem allgemeinen Theile,
auf allgemeine psychologische Gesetze zu gründen sein. Wir
gestehen also nicht bloß eine Verwandtschaft zwischen Bedeu-
tungslehre und innerer Sprachform zu, sondern meinen, die Be-
deutungslehre, wahrhaft aufgefaßt, sei eben Darstellung der in-
nern Sprachform. Trotzdem schließen wir uns lieber dem Sprach-
gebrauche Humboldts an, weil der Begriff Humboldts doch bestimm-
ter, entwickelter scheint als der Reisigs und selbst der Benarys,
und dies deswegen, weil die Benennung "innere Sprachform", wie
ihr Inhalt, sich als Glied eines Systems von Begriffen und Na-

frage der Sprachphilosophie zu einer entschiedenen Ansicht und
einem klaren Begriffe gelangt ist, und andererseits zugestanden
werden muß, daß nicht bloß überall und längst die innere Sprach-
form geahnt worden ist, nicht bloß die neuere vergleichende Ety-
mologie ihren lexikalischen Theil fleißig bearbeitet hat, sondern
daß auch innerhalb der historischen Grammatik selbst die Be-
deutungslehre
aufgetaucht ist, die doch wohl nichts Anderes
sein wird, als die Darstellung der innern Sprachform. Reisig
ist der Urheber dieser Bedeutungslehre, die freilich bei ihm noch
einen sehr beschränkten Sinn hat, indem sie nur die Bedeutun-
gen der Wörter zum Gegenstande hat. Wir hoffen, daß es
seinem Herausgeber und Nachfolger Haase gelingen wird, das
begonnene Werk seines Lehrers glücklich fortzuführen. Es steht
ihm aber noch die Aufgabe bevor, die Bedeutungslehre wirklich
zu begründen, nur erst einmal ihr wahres Wesen und ihren Um-
fang, wie ihre allseitigen Beziehungen darzustellen, sei es theo-
retisch, begrifflich, oder an dem Beispiele einer besondern Gram-
matik. Pott und Benary haben Reisigs Idee sehr bereitwillig
anerkannt. Benary hat ihren Gegenstand erweitert, indem er
auch die Bedeutung der Wortformen hineinzog. Es will mir
aber kaum scheinen, als hätten sie die Sache richtig erfaßt:
sie würden sonst eben den Humboldtschen Begriff der innern
Sprachform besser erkannt haben. Die Bedeutungslehre kann
nicht im mindesten apriorisch sein; sie kann gar nichts mit der
Logik zu thun haben. Sie wird zunächst ganz individuell und
historisch sein, Bedeutungslehre der lateinischen, der griechischen
u. s. w., Sprache und wird ferner, in einem allgemeinen Theile,
auf allgemeine psychologische Gesetze zu gründen sein. Wir
gestehen also nicht bloß eine Verwandtschaft zwischen Bedeu-
tungslehre und innerer Sprachform zu, sondern meinen, die Be-
deutungslehre, wahrhaft aufgefaßt, sei eben Darstellung der in-
nern Sprachform. Trotzdem schließen wir uns lieber dem Sprach-
gebrauche Humboldts an, weil der Begriff Humboldts doch bestimm-
ter, entwickelter scheint als der Reisigs und selbst der Benarys,
und dies deswegen, weil die Benennung „innere Sprachform“, wie
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[XXI/0027] frage der Sprachphilosophie zu einer entschiedenen Ansicht und einem klaren Begriffe gelangt ist, und andererseits zugestanden werden muß, daß nicht bloß überall und längst die innere Sprach- form geahnt worden ist, nicht bloß die neuere vergleichende Ety- mologie ihren lexikalischen Theil fleißig bearbeitet hat, sondern daß auch innerhalb der historischen Grammatik selbst die Be- deutungslehre aufgetaucht ist, die doch wohl nichts Anderes sein wird, als die Darstellung der innern Sprachform. Reisig ist der Urheber dieser Bedeutungslehre, die freilich bei ihm noch einen sehr beschränkten Sinn hat, indem sie nur die Bedeutun- gen der Wörter zum Gegenstande hat. Wir hoffen, daß es seinem Herausgeber und Nachfolger Haase gelingen wird, das begonnene Werk seines Lehrers glücklich fortzuführen. Es steht ihm aber noch die Aufgabe bevor, die Bedeutungslehre wirklich zu begründen, nur erst einmal ihr wahres Wesen und ihren Um- fang, wie ihre allseitigen Beziehungen darzustellen, sei es theo- retisch, begrifflich, oder an dem Beispiele einer besondern Gram- matik. Pott und Benary haben Reisigs Idee sehr bereitwillig anerkannt. Benary hat ihren Gegenstand erweitert, indem er auch die Bedeutung der Wortformen hineinzog. Es will mir aber kaum scheinen, als hätten sie die Sache richtig erfaßt: sie würden sonst eben den Humboldtschen Begriff der innern Sprachform besser erkannt haben. Die Bedeutungslehre kann nicht im mindesten apriorisch sein; sie kann gar nichts mit der Logik zu thun haben. Sie wird zunächst ganz individuell und historisch sein, Bedeutungslehre der lateinischen, der griechischen u. s. w., Sprache und wird ferner, in einem allgemeinen Theile, auf allgemeine psychologische Gesetze zu gründen sein. Wir gestehen also nicht bloß eine Verwandtschaft zwischen Bedeu- tungslehre und innerer Sprachform zu, sondern meinen, die Be- deutungslehre, wahrhaft aufgefaßt, sei eben Darstellung der in- nern Sprachform. Trotzdem schließen wir uns lieber dem Sprach- gebrauche Humboldts an, weil der Begriff Humboldts doch bestimm- ter, entwickelter scheint als der Reisigs und selbst der Benarys, und dies deswegen, weil die Benennung „innere Sprachform“, wie ihr Inhalt, sich als Glied eines Systems von Begriffen und Na-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/27>, abgerufen am 26.04.2024.