Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite
b) Allgemeine Gewerbspflege.

Die allgemeine Gewerbspflege erscheint als Anwendung der allge-
meinen Volkswirthschaftspflege auf das gewerbliche Leben, so weit das
letztere eine besondere Gestalt des ersteren fordert. Das ist der Fall
im Bildungs- und Creditwesen. Das gewerbliche Bildungswesen
als Theil des wirthschaftlichen Berufsbildungswesens beruht in seinem
Princip auf dem höheren Wesen des Gewerbes, und zwar im wesent-
lichen Unterschied von der Industrie darin, daß es das Moment der
individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann
nur durch Bildung des Geschmackes geschehen, welcher den Produkten
den freien Werth gibt. Die specielle Gewerbebildung besteht daher
wesentlich in Zeichnen- und Musterschulen für die Lehrlinge, wäh-
rend für die Meister die Vorträge in den Gewerbevereinen und die
Ausstellungen eintreten. Diese Bildungsanstalten sind naturgemäß
Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein ist vermöge
der Natur der gewerblichen Produktion weder ein strenger Zahlungs-
noch ein Unternehmungscredit, sondern diejenige Verbindung beider,
die wir den Vorschußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi-
talien fordert, seine Sicherheit zunächst in der producirten Waare findet,
und mit dem Erlös derselben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche
Creditvereinswesen beruht daher auf der Gegenseitigkeit, dem zwar
ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber
nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden
einzelnen Credit, und die gegenseitige solidarische Haftung die Sicherheit
und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Diese
Gruppe von gewerblichen Creditanstalten bezeichnen wir als das System
der Gewerbe- und Volksbanken, die sich bisher nur noch theilweise
von dem übrigen Creditwesen losgelöst haben. Neben ihnen stehen
Anstalten für den persönlichen Credit, Leihanstalten etc., die in der
Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be-
rechnet sind.

Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanstalten war man
schon im vorigen Jahrhundert im Wesentlichen einig. Bensen, Staatslehre,
Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unsere Handwerker dazu
gebracht werden, daß sie Verbesserungen ihrer Gewerbe nützen etc. 1799; Berg,
Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundsatz der organischen Einfügung
des gewerblichen Bildungswesens in den Volks- und Berufsunterricht, des
ersteren in dem System der Realschulen, des letzteren in dem der eigentlichen
Gewerbeschulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtswesen seine organische
Stellung empfangen. Falsch ist nur die Verschmelzung des Gewerbeunterrichts
mit der Handels- und Kunstbildung. Rau II. §. 204; Mohl, Polizeiwissen-

b) Allgemeine Gewerbspflege.

Die allgemeine Gewerbspflege erſcheint als Anwendung der allge-
meinen Volkswirthſchaftspflege auf das gewerbliche Leben, ſo weit das
letztere eine beſondere Geſtalt des erſteren fordert. Das iſt der Fall
im Bildungs- und Creditweſen. Das gewerbliche Bildungsweſen
als Theil des wirthſchaftlichen Berufsbildungsweſens beruht in ſeinem
Princip auf dem höheren Weſen des Gewerbes, und zwar im weſent-
lichen Unterſchied von der Induſtrie darin, daß es das Moment der
individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann
nur durch Bildung des Geſchmackes geſchehen, welcher den Produkten
den freien Werth gibt. Die ſpecielle Gewerbebildung beſteht daher
weſentlich in Zeichnen- und Muſterſchulen für die Lehrlinge, wäh-
rend für die Meiſter die Vorträge in den Gewerbevereinen und die
Ausſtellungen eintreten. Dieſe Bildungsanſtalten ſind naturgemäß
Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein iſt vermöge
der Natur der gewerblichen Produktion weder ein ſtrenger Zahlungs-
noch ein Unternehmungscredit, ſondern diejenige Verbindung beider,
die wir den Vorſchußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi-
talien fordert, ſeine Sicherheit zunächſt in der producirten Waare findet,
und mit dem Erlös derſelben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche
Creditvereinsweſen beruht daher auf der Gegenſeitigkeit, dem zwar
ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber
nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden
einzelnen Credit, und die gegenſeitige ſolidariſche Haftung die Sicherheit
und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Dieſe
Gruppe von gewerblichen Creditanſtalten bezeichnen wir als das Syſtem
der Gewerbe- und Volksbanken, die ſich bisher nur noch theilweiſe
von dem übrigen Creditweſen losgelöst haben. Neben ihnen ſtehen
Anſtalten für den perſönlichen Credit, Leihanſtalten ꝛc., die in der
Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be-
rechnet ſind.

Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanſtalten war man
ſchon im vorigen Jahrhundert im Weſentlichen einig. Benſen, Staatslehre,
Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unſere Handwerker dazu
gebracht werden, daß ſie Verbeſſerungen ihrer Gewerbe nützen ꝛc. 1799; Berg,
Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundſatz der organiſchen Einfügung
des gewerblichen Bildungsweſens in den Volks- und Berufsunterricht, des
erſteren in dem Syſtem der Realſchulen, des letzteren in dem der eigentlichen
Gewerbeſchulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtsweſen ſeine organiſche
Stellung empfangen. Falſch iſt nur die Verſchmelzung des Gewerbeunterrichts
mit der Handels- und Kunſtbildung. Rau II. §. 204; Mohl, Polizeiwiſſen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0370" n="346"/>
                  <div n="7">
                    <head><hi rendition="#aq">b</hi>) Allgemeine Gewerbspflege.</head><lb/>
                    <p>Die allgemeine Gewerbspflege er&#x017F;cheint als Anwendung der allge-<lb/>
meinen Volkswirth&#x017F;chaftspflege auf das gewerbliche Leben, &#x017F;o weit das<lb/>
letztere eine be&#x017F;ondere Ge&#x017F;talt des er&#x017F;teren fordert. Das i&#x017F;t der Fall<lb/>
im <hi rendition="#g">Bildungs-</hi> und <hi rendition="#g">Creditw</hi>e&#x017F;en. Das gewerbliche Bildungswe&#x017F;en<lb/>
als Theil des wirth&#x017F;chaftlichen Berufsbildungswe&#x017F;ens beruht in &#x017F;einem<lb/>
Princip auf dem höheren We&#x017F;en des Gewerbes, und zwar im we&#x017F;ent-<lb/>
lichen Unter&#x017F;chied von der Indu&#x017F;trie darin, daß es das Moment der<lb/><hi rendition="#g">individuellen</hi> Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann<lb/>
nur durch Bildung des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chmackes</hi> ge&#x017F;chehen, welcher den Produkten<lb/>
den freien Werth gibt. Die &#x017F;pecielle Gewerbebildung be&#x017F;teht daher<lb/>
we&#x017F;entlich in <hi rendition="#g">Zeichnen-</hi> und <hi rendition="#g">Mu&#x017F;ter&#x017F;</hi>chulen für die Lehrlinge, wäh-<lb/>
rend für die Mei&#x017F;ter die <hi rendition="#g">Vorträge</hi> in den Gewerbevereinen und die<lb/><hi rendition="#g">Aus&#x017F;tellungen</hi> eintreten. Die&#x017F;e Bildungsan&#x017F;talten &#x017F;ind naturgemäß<lb/>
Sache der <hi rendition="#g">Vereine</hi>. Der <hi rendition="#g">gewerbliche Creditverein</hi> i&#x017F;t vermöge<lb/>
der Natur der gewerblichen Produktion weder ein &#x017F;trenger Zahlungs-<lb/>
noch ein Unternehmungscredit, &#x017F;ondern diejenige Verbindung beider,<lb/>
die wir den <hi rendition="#g">Vor&#x017F;chußcredit</hi> genannt haben, da er nur kleine Capi-<lb/>
talien fordert, &#x017F;eine Sicherheit zunäch&#x017F;t in der producirten Waare findet,<lb/>
und mit dem Erlös der&#x017F;elben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche<lb/>
Creditvereinswe&#x017F;en beruht daher auf der <hi rendition="#g">Gegen&#x017F;eitigkeit</hi>, dem zwar<lb/>
ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber<lb/>
nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden<lb/>
einzelnen Credit, und die gegen&#x017F;eitige &#x017F;olidari&#x017F;che Haftung die Sicherheit<lb/>
und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Die&#x017F;e<lb/>
Gruppe von gewerblichen Creditan&#x017F;talten bezeichnen wir als das Sy&#x017F;tem<lb/>
der <hi rendition="#g">Gewerbe-</hi> und <hi rendition="#g">Volksbanken</hi>, die &#x017F;ich bisher nur noch theilwei&#x017F;e<lb/>
von dem übrigen Creditwe&#x017F;en losgelöst haben. <hi rendition="#g">Neben</hi> ihnen &#x017F;tehen<lb/>
An&#x017F;talten für den per&#x017F;önlichen Credit, Leihan&#x017F;talten &#xA75B;c., die in der<lb/>
Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be-<lb/>
rechnet &#x017F;ind.</p><lb/>
                    <p>Ueber die eigentlichen <hi rendition="#g">gewerblichen Bildungsan&#x017F;talten</hi> war man<lb/>
&#x017F;chon im vorigen Jahrhundert im We&#x017F;entlichen einig. <hi rendition="#g">Ben&#x017F;en</hi>, Staatslehre,<lb/>
Abth. 3. §. 728; <hi rendition="#g">Vogt</hi>: durch welche Mittel können un&#x017F;ere Handwerker dazu<lb/>
gebracht werden, daß &#x017F;ie Verbe&#x017F;&#x017F;erungen ihrer Gewerbe nützen &#xA75B;c. 1799; <hi rendition="#g">Berg</hi>,<lb/>
Polizeirecht <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 444. Neuere Zeit: Grund&#x017F;atz der organi&#x017F;chen <hi rendition="#g">Einfügung</hi><lb/>
des gewerblichen Bildungswe&#x017F;ens in den Volks- und Berufsunterricht, des<lb/>
er&#x017F;teren in dem Sy&#x017F;tem der Real&#x017F;chulen, des letzteren in dem der eigentlichen<lb/>
Gewerbe&#x017F;chulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtswe&#x017F;en &#x017F;eine organi&#x017F;che<lb/>
Stellung empfangen. Fal&#x017F;ch i&#x017F;t nur die Ver&#x017F;chmelzung des Gewerbeunterrichts<lb/>
mit der Handels- und Kun&#x017F;tbildung. <hi rendition="#g">Rau</hi> <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 204; <hi rendition="#g">Mohl</hi>, Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0370] b) Allgemeine Gewerbspflege. Die allgemeine Gewerbspflege erſcheint als Anwendung der allge- meinen Volkswirthſchaftspflege auf das gewerbliche Leben, ſo weit das letztere eine beſondere Geſtalt des erſteren fordert. Das iſt der Fall im Bildungs- und Creditweſen. Das gewerbliche Bildungsweſen als Theil des wirthſchaftlichen Berufsbildungsweſens beruht in ſeinem Princip auf dem höheren Weſen des Gewerbes, und zwar im weſent- lichen Unterſchied von der Induſtrie darin, daß es das Moment der individuellen Produktionskraft zu entwickeln hat. Das nun kann nur durch Bildung des Geſchmackes geſchehen, welcher den Produkten den freien Werth gibt. Die ſpecielle Gewerbebildung beſteht daher weſentlich in Zeichnen- und Muſterſchulen für die Lehrlinge, wäh- rend für die Meiſter die Vorträge in den Gewerbevereinen und die Ausſtellungen eintreten. Dieſe Bildungsanſtalten ſind naturgemäß Sache der Vereine. Der gewerbliche Creditverein iſt vermöge der Natur der gewerblichen Produktion weder ein ſtrenger Zahlungs- noch ein Unternehmungscredit, ſondern diejenige Verbindung beider, die wir den Vorſchußcredit genannt haben, da er nur kleine Capi- talien fordert, ſeine Sicherheit zunächſt in der producirten Waare findet, und mit dem Erlös derſelben zurückgezahlt wird. Das gewerbliche Creditvereinsweſen beruht daher auf der Gegenſeitigkeit, dem zwar ein Aktiencapital als Grundlage zu Hülfe kommen kann, dem aber nothwendig die gewählte Creditverwaltung die Sicherheit für jeden einzelnen Credit, und die gegenſeitige ſolidariſche Haftung die Sicherheit und damit den billigen Zinsfuß für das Ganze geben muß. Dieſe Gruppe von gewerblichen Creditanſtalten bezeichnen wir als das Syſtem der Gewerbe- und Volksbanken, die ſich bisher nur noch theilweiſe von dem übrigen Creditweſen losgelöst haben. Neben ihnen ſtehen Anſtalten für den perſönlichen Credit, Leihanſtalten ꝛc., die in der Regel mehr auf die Noth als auf die gewerbliche Unternehmung be- rechnet ſind. Ueber die eigentlichen gewerblichen Bildungsanſtalten war man ſchon im vorigen Jahrhundert im Weſentlichen einig. Benſen, Staatslehre, Abth. 3. §. 728; Vogt: durch welche Mittel können unſere Handwerker dazu gebracht werden, daß ſie Verbeſſerungen ihrer Gewerbe nützen ꝛc. 1799; Berg, Polizeirecht III. S. 444. Neuere Zeit: Grundſatz der organiſchen Einfügung des gewerblichen Bildungsweſens in den Volks- und Berufsunterricht, des erſteren in dem Syſtem der Realſchulen, des letzteren in dem der eigentlichen Gewerbeſchulen. Damit hat das gewerbliche Unterrichtsweſen ſeine organiſche Stellung empfangen. Falſch iſt nur die Verſchmelzung des Gewerbeunterrichts mit der Handels- und Kunſtbildung. Rau II. §. 204; Mohl, Polizeiwiſſen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/370
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/370>, abgerufen am 22.12.2024.