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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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Wahrheit des Kolorits, der Gewänder, der Zeich-
nung, ist bewundernswerth, es ist ein köstliches
Gemälde, das man zu betrachten nicht ermüdet,
an dem man immer neue Vorzüge entdeckt, aber es
ist ein Gemälde. Schoreel, Hemling, vor Allen Jo-
hann van Eyck stellen uns mitten in ihre Schöpfun-
gen, ihre Gebilde sind die Wirklichkeit selbst,
die Albrecht Dürer uns nur mit großem Fleiß nach-
gebildet zeigt; ihm mangelt die Jugendfrische, die
unaussprechlich seelenvolle Heiterkeit, der Strahl
des Lebens, der bei den alten Meistern recht aus
dem Jnnern hervorbricht. Vor ihren Tafeln ver-
gißt man oft über dem Werke den Meister, hier
muß man stets, wenn gleich bewundernd, seiner
gedenken. Diese schwarzen scharfen Umrisse, die
er sowohl im Kontur der Köpfe, als in den Falten
der Gewänder unvermalt stehen lies, so meisterhaft,
mit so fester Hand sie auch gezeichnet sind, kennt
die Natur eben so wenig als ihre obengenannten
treusten Nachfolger sie kannten. Auch Albrecht
Dürers Farben, bei aller ihrer Schönheit, erblei-
chen vor der brennenden Pracht seiner Vorfahren,


Wahrheit des Kolorits, der Gewänder, der Zeich-
nung, iſt bewundernswerth, es iſt ein köſtliches
Gemälde, das man zu betrachten nicht ermüdet,
an dem man immer neue Vorzüge entdeckt, aber es
iſt ein Gemälde. Schoreel, Hemling, vor Allen Jo-
hann van Eyck ſtellen uns mitten in ihre Schöpfun-
gen, ihre Gebilde ſind die Wirklichkeit ſelbſt,
die Albrecht Dürer uns nur mit großem Fleiß nach-
gebildet zeigt; ihm mangelt die Jugendfriſche, die
unausſprechlich ſeelenvolle Heiterkeit, der Strahl
des Lebens, der bei den alten Meiſtern recht aus
dem Jnnern hervorbricht. Vor ihren Tafeln ver-
gißt man oft über dem Werke den Meiſter, hier
muß man ſtets, wenn gleich bewundernd, ſeiner
gedenken. Dieſe ſchwarzen ſcharfen Umriſſe, die
er ſowohl im Kontur der Köpfe, als in den Falten
der Gewänder unvermalt ſtehen lies, ſo meiſterhaft,
mit ſo feſter Hand ſie auch gezeichnet ſind, kennt
die Natur eben ſo wenig als ihre obengenannten
treuſten Nachfolger ſie kannten. Auch Albrecht
Dürers Farben, bei aller ihrer Schönheit, erblei-
chen vor der brennenden Pracht ſeiner Vorfahren,

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[266/0278] Wahrheit des Kolorits, der Gewänder, der Zeich- nung, iſt bewundernswerth, es iſt ein köſtliches Gemälde, das man zu betrachten nicht ermüdet, an dem man immer neue Vorzüge entdeckt, aber es iſt ein Gemälde. Schoreel, Hemling, vor Allen Jo- hann van Eyck ſtellen uns mitten in ihre Schöpfun- gen, ihre Gebilde ſind die Wirklichkeit ſelbſt, die Albrecht Dürer uns nur mit großem Fleiß nach- gebildet zeigt; ihm mangelt die Jugendfriſche, die unausſprechlich ſeelenvolle Heiterkeit, der Strahl des Lebens, der bei den alten Meiſtern recht aus dem Jnnern hervorbricht. Vor ihren Tafeln ver- gißt man oft über dem Werke den Meiſter, hier muß man ſtets, wenn gleich bewundernd, ſeiner gedenken. Dieſe ſchwarzen ſcharfen Umriſſe, die er ſowohl im Kontur der Köpfe, als in den Falten der Gewänder unvermalt ſtehen lies, ſo meiſterhaft, mit ſo feſter Hand ſie auch gezeichnet ſind, kennt die Natur eben ſo wenig als ihre obengenannten treuſten Nachfolger ſie kannten. Auch Albrecht Dürers Farben, bei aller ihrer Schönheit, erblei- chen vor der brennenden Pracht ſeiner Vorfahren,

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/278>, abgerufen am 26.04.2024.