Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55.Idylle. Es bleiben mir noch einige Worte über diese dritte seyn, daß dergleichen Schilderungen durch den Plan seiner Dichtungen nothwendig gemacht werden. Der kalte Ver- stand, der den Plan entwarf, foderte sie ihm ab, und sein Gefühl scheint mir so weit entfernt, sie mit Vorliebe zu be- günstigen, daß ich -- in der Ausführung selbst immer noch den kalten Verstand zu erkennen glaube. Und gerade diese Kälte in der Darstellung ist ihnen in der Beurtheilung schäd- lich, weil nur die naive Empfindung dergleichen Schilde- rungen ästhetisch sowohl als moralisch rechtfertigen kann. Ob es aber dem Dichter erlaubt ist, sich bey Entwerfung des Plans einer solchen Gefahr in der Ausführung auszuse- tzen, und ob überhaupt ein Plan poetisch heißen kann, der, ich will dieses einmal zugeben, nicht kann ausgeführt wer- den, ohne die keusche Empfindung des Dichters sowohl als seines Lesers zu empören, und ohne beyde bey Gegenständen verweilen zu machen, von denen ein veredeltes Gefühl sich so gern entfernt -- dieß ist es, was ich bezweifle und worü- ber ich gern ein verständiges Urtheil hören möchte. * Nochmals muß ich erinnern, daß die Satyre, Elegie und
Idylle, so wie sie hier als die drey einzig möglichen Arten sentimentalischer Poesie aufgestellt werden, mit den drey be- sondern Gedichtarten, welche man unter diesem Nahmen kennt, nichts gemein haben, als die Empfindungswei- Idylle. Es bleiben mir noch einige Worte uͤber dieſe dritte ſeyn, daß dergleichen Schilderungen durch den Plan ſeiner Dichtungen nothwendig gemacht werden. Der kalte Ver- ſtand, der den Plan entwarf, foderte ſie ihm ab, und ſein Gefuͤhl ſcheint mir ſo weit entfernt, ſie mit Vorliebe zu be- guͤnſtigen, daß ich — in der Ausfuͤhrung ſelbſt immer noch den kalten Verſtand zu erkennen glaube. Und gerade dieſe Kaͤlte in der Darſtellung iſt ihnen in der Beurtheilung ſchaͤd- lich, weil nur die naive Empfindung dergleichen Schilde- rungen aͤſthetiſch ſowohl als moraliſch rechtfertigen kann. Ob es aber dem Dichter erlaubt iſt, ſich bey Entwerfung des Plans einer ſolchen Gefahr in der Ausfuͤhrung auszuſe- tzen, und ob uͤberhaupt ein Plan poetiſch heißen kann, der, ich will dieſes einmal zugeben, nicht kann ausgefuͤhrt wer- den, ohne die keuſche Empfindung des Dichters ſowohl als ſeines Leſers zu empoͤren, und ohne beyde bey Gegenſtaͤnden verweilen zu machen, von denen ein veredeltes Gefuͤhl ſich ſo gern entfernt — dieß iſt es, was ich bezweifle und woruͤ- ber ich gern ein verſtaͤndiges Urtheil hoͤren moͤchte. * Nochmals muß ich erinnern, daß die Satyre, Elegie und
Idylle, ſo wie ſie hier als die drey einzig moͤglichen Arten ſentimentaliſcher Poeſie aufgeſtellt werden, mit den drey be- ſondern Gedichtarten, welche man unter dieſem Nahmen kennt, nichts gemein haben, als die Empfindungswei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="45" facs="#f0052"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Idylle</hi>.</head><lb/> <p>Es bleiben mir noch einige Worte uͤber dieſe dritte<lb/> Species ſentimentaliſcher Dichtung zu ſagen uͤbrig, we-<lb/> nige Worte nur, denn eine ausfuͤhrlichere Entwicklung<lb/> derſelben, deren ſie vorzuͤglich bedarf, bleibt einer andern<lb/> Zeit vorbehalten. <note place="foot" n="*" xml:id="seg2pn_6_1" next="#seg2pn_6_2">Nochmals muß ich erinnern, daß die Satyre, Elegie und<lb/> Idylle, ſo wie ſie hier als die drey einzig moͤglichen Arten<lb/> ſentimentaliſcher Poeſie aufgeſtellt werden, mit den drey be-<lb/> ſondern Gedichtarten, welche man unter dieſem Nahmen<lb/> kennt, nichts gemein haben, als die <hi rendition="#g">Empfindungswei-</hi></note></p><lb/> <p> <note place="foot" n="*" xml:id="seg2pn_5_2" prev="#seg2pn_5_1">ſeyn, daß dergleichen Schilderungen durch den Plan ſeiner<lb/> Dichtungen nothwendig gemacht werden. Der kalte Ver-<lb/> ſtand, der den Plan entwarf, foderte ſie ihm ab, und ſein<lb/> Gefuͤhl ſcheint mir ſo weit entfernt, ſie mit Vorliebe zu be-<lb/> guͤnſtigen, daß ich — in der Ausfuͤhrung ſelbſt immer noch<lb/> den kalten Verſtand zu erkennen glaube. Und gerade dieſe<lb/> Kaͤlte in der Darſtellung iſt ihnen in der Beurtheilung ſchaͤd-<lb/> lich, weil nur die naive Empfindung dergleichen Schilde-<lb/> rungen aͤſthetiſch ſowohl als moraliſch rechtfertigen kann.<lb/> Ob es aber dem Dichter erlaubt iſt, ſich bey Entwerfung<lb/> des Plans einer ſolchen Gefahr in der Ausfuͤhrung auszuſe-<lb/> tzen, und ob uͤberhaupt ein Plan poetiſch heißen kann, der,<lb/> ich will dieſes einmal zugeben, nicht kann ausgefuͤhrt wer-<lb/> den, ohne die keuſche Empfindung des Dichters ſowohl als<lb/> ſeines Leſers zu empoͤren, und ohne beyde bey Gegenſtaͤnden<lb/> verweilen zu machen, von denen ein veredeltes Gefuͤhl ſich<lb/> ſo gern entfernt — dieß iſt es, was ich bezweifle und woruͤ-<lb/> ber ich gern ein verſtaͤndiges Urtheil hoͤren moͤchte.</note> </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0052]
Idylle.
Es bleiben mir noch einige Worte uͤber dieſe dritte
Species ſentimentaliſcher Dichtung zu ſagen uͤbrig, we-
nige Worte nur, denn eine ausfuͤhrlichere Entwicklung
derſelben, deren ſie vorzuͤglich bedarf, bleibt einer andern
Zeit vorbehalten. *
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* Nochmals muß ich erinnern, daß die Satyre, Elegie und
Idylle, ſo wie ſie hier als die drey einzig moͤglichen Arten
ſentimentaliſcher Poeſie aufgeſtellt werden, mit den drey be-
ſondern Gedichtarten, welche man unter dieſem Nahmen
kennt, nichts gemein haben, als die Empfindungswei-
* ſeyn, daß dergleichen Schilderungen durch den Plan ſeiner
Dichtungen nothwendig gemacht werden. Der kalte Ver-
ſtand, der den Plan entwarf, foderte ſie ihm ab, und ſein
Gefuͤhl ſcheint mir ſo weit entfernt, ſie mit Vorliebe zu be-
guͤnſtigen, daß ich — in der Ausfuͤhrung ſelbſt immer noch
den kalten Verſtand zu erkennen glaube. Und gerade dieſe
Kaͤlte in der Darſtellung iſt ihnen in der Beurtheilung ſchaͤd-
lich, weil nur die naive Empfindung dergleichen Schilde-
rungen aͤſthetiſch ſowohl als moraliſch rechtfertigen kann.
Ob es aber dem Dichter erlaubt iſt, ſich bey Entwerfung
des Plans einer ſolchen Gefahr in der Ausfuͤhrung auszuſe-
tzen, und ob uͤberhaupt ein Plan poetiſch heißen kann, der,
ich will dieſes einmal zugeben, nicht kann ausgefuͤhrt wer-
den, ohne die keuſche Empfindung des Dichters ſowohl als
ſeines Leſers zu empoͤren, und ohne beyde bey Gegenſtaͤnden
verweilen zu machen, von denen ein veredeltes Gefuͤhl ſich
ſo gern entfernt — dieß iſt es, was ich bezweifle und woruͤ-
ber ich gern ein verſtaͤndiges Urtheil hoͤren moͤchte.
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Zitationshilfe: | Schiller, Friedrich: Über naive und sentimentalische Dichtung. [Tl. 2:] Die sentimentalischen Dichter. In: Die Horen 1795, 12. St., T. I., S. 1-55, hier S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_naive02_1795/52>, abgerufen am 03.03.2025. |