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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die
spätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup-
tet: er trägt nämlich auch hier die Last des Beweises.
Dieses Verhältniß ist von der wichtigsten und ausgedehn-
testen Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts-
klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnsinn
eines Contrahenten behauptet; eben so bey der Behaup-
tung, daß ein im Allgemeinen zugestandenes Versprechen
durch Bedingung, Zeit, Ort beschränkt, oder daß es alter-
nativ gewesen sey; eben so wenn der Beklagte das Da-
seyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es sey
eine Erklärung ohne Willen gewesen (§ 134--138). Die-
ser wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß,
bey dem scheinbaren Auftreten und Handeln eines Men-
schen, das vollständige Daseyn dieses Menschen als eines
willensfähigen Wesens sich als Regel von selbst versteht;
eben so wie bey einer scheinbaren Willenserklärung die
Übereinstimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil-
len, deren natürliches Zeichen sie ist (g1).

Die zweyte Klasse der Vertheidigung (relative Ver-
neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erscheint als
Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage sieht,
da dieses als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird;
als Bejahung, mit Hinsicht auf den thatsächlichen Grund
der Klage. Nach der einen Auffassung erscheint sie in
näherer Verwandtschaft mit der ersten Klasse der Verthei-

(g1) Bethmann-Hollweg Versuche über Prozeß S. 349--360.

§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.
hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die
ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup-
tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes.
Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn-
teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts-
klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn
eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup-
tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen
durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter-
nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da-
ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey
eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134—138). Die-
ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß,
bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men-
ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines
willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht;
eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die
Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil-
len, deren natürliches Zeichen ſie iſt (g¹).

Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver-
neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als
Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht,
da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird;
als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund
der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in
näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei-

(g¹) Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349—360.
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[155/0169] §. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio. hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup- tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes. Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn- teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts- klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup- tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter- nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da- ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134—138). Die- ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß, bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men- ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht; eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil- len, deren natürliches Zeichen ſie iſt (g¹). Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver- neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht, da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird; als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei- (g¹) Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349—360.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/169>, abgerufen am 26.04.2024.