Der sechs und neunzigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Hrn. Joh. Belford.
Freytags, den 4ten Aug.
Mein Herr.
Jch achte mich Jhnen für die gütige Mitthei- lung der verlangten Nachrichten höchst ver- bunden. Jch werde sie nicht so gebrauchen, daß Sie entweder sich selbst, oder mir, Vorwürfe zu machen, Ursache haben sollen. Es war nicht nöthig, daß ich erst neues Licht bekäme, die vor- setzliche Bosheit des unglücklichen Menschen bey mir außer Streit zu setzen: wie meine Antwort auf den Brief der Fräulein Montague Sie über- führen mochte (*).
Jch muß zu seinem Vortheil gestehen, daß er in seinen Nachrichten an Sie, von den unan- ständigsten und ärgerlichsten Handlungen einigen Wohlstand beobachtet hat. Und wo alle seine Erzählungen, die von einer wunderlichen Nei- gung, sich andern zu entdecken, zeugen, eben so anständig sind: so wird dadurch nichts als höchst- strafbar verhaßt gemacht werden, außer dem schändlichen Herzen, das auf solche Ränke sinnen konnte, welche weit stärkere Beweise seiner Un- menschlichkeit, als seines Witzes, gewesen sind.
Denn
(*) Man sehe den vorhergehenden XCIII. Brief.
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Der ſechs und neunzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Hrn. Joh. Belford.
Freytags, den 4ten Aug.
Mein Herr.
Jch achte mich Jhnen fuͤr die guͤtige Mitthei- lung der verlangten Nachrichten hoͤchſt ver- bunden. Jch werde ſie nicht ſo gebrauchen, daß Sie entweder ſich ſelbſt, oder mir, Vorwuͤrfe zu machen, Urſache haben ſollen. Es war nicht noͤthig, daß ich erſt neues Licht bekaͤme, die vor- ſetzliche Bosheit des ungluͤcklichen Menſchen bey mir außer Streit zu ſetzen: wie meine Antwort auf den Brief der Fraͤulein Montague Sie uͤber- fuͤhren mochte (*).
Jch muß zu ſeinem Vortheil geſtehen, daß er in ſeinen Nachrichten an Sie, von den unan- ſtaͤndigſten und aͤrgerlichſten Handlungen einigen Wohlſtand beobachtet hat. Und wo alle ſeine Erzaͤhlungen, die von einer wunderlichen Nei- gung, ſich andern zu entdecken, zeugen, eben ſo anſtaͤndig ſind: ſo wird dadurch nichts als hoͤchſt- ſtrafbar verhaßt gemacht werden, außer dem ſchaͤndlichen Herzen, das auf ſolche Raͤnke ſinnen konnte, welche weit ſtaͤrkere Beweiſe ſeiner Un- menſchlichkeit, als ſeines Witzes, geweſen ſind.
Denn
(*) Man ſehe den vorhergehenden XCIII. Brief.
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Der ſechs und neunzigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Hrn. Joh.
Belford.
Freytags, den 4ten Aug.
Mein Herr.
Jch achte mich Jhnen fuͤr die guͤtige Mitthei-
lung der verlangten Nachrichten hoͤchſt ver-
bunden. Jch werde ſie nicht ſo gebrauchen, daß
Sie entweder ſich ſelbſt, oder mir, Vorwuͤrfe zu
machen, Urſache haben ſollen. Es war nicht
noͤthig, daß ich erſt neues Licht bekaͤme, die vor-
ſetzliche Bosheit des ungluͤcklichen Menſchen bey
mir außer Streit zu ſetzen: wie meine Antwort
auf den Brief der Fraͤulein Montague Sie uͤber-
fuͤhren mochte (*).
Jch muß zu ſeinem Vortheil geſtehen, daß
er in ſeinen Nachrichten an Sie, von den unan-
ſtaͤndigſten und aͤrgerlichſten Handlungen einigen
Wohlſtand beobachtet hat. Und wo alle ſeine
Erzaͤhlungen, die von einer wunderlichen Nei-
gung, ſich andern zu entdecken, zeugen, eben ſo
anſtaͤndig ſind: ſo wird dadurch nichts als hoͤchſt-
ſtrafbar verhaßt gemacht werden, außer dem
ſchaͤndlichen Herzen, das auf ſolche Raͤnke ſinnen
konnte, welche weit ſtaͤrkere Beweiſe ſeiner Un-
menſchlichkeit, als ſeines Witzes, geweſen ſind.
Denn
(*) Man ſehe den vorhergehenden XCIII. Brief.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/687>, abgerufen am 21.12.2024.
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