Eine Fabel ist, ordentlicher Weise, und beson- ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein solches Gedicht, über welchem der Name eines Thiers, oder sonst eines Dinges steht, das noch etwas dümmer ist, als der Verfasser. Wir würden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei- ne poetische Wahrscheinlichkeit, oder gar eine Sit- tenlehre darinnen suchen wollten. Die Ausfüh- rung der Fabel mag noch so trocken, noch so abge- schmackt, noch so undeutlich seyn; so ist doch das, was ein solcher Fabeldichter im Namen seines Thiers sagt, für eine unvernünftige Bestie noch allemal klug genug gesprochen. Er schreibt: Der - - eine Fabel. Und siehe, so ist es eine Fabel! Mehr ge- hört dazu nicht.
Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern Verstande, und zwar von solchen Erzählungen gebraucht, welche zwar wöglich, aber nicht wahrscheinlich sind. Daß ein Frauenzimmer sich über den vermeynten Tod ihres Liebhabers der- gestalt betrübt, daß sie sich selbst ums Leben bringt; und daß es Liebhaber giebt, welche über den Ver- lust ihrer Schönen so untröstbar sind, daß sie in ganzem Ernste Anstalt machen, sich zu erstechen:
Das
Beytrag
Fabel.
Eine Fabel iſt, ordentlicher Weiſe, und beſon- ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein ſolches Gedicht, uͤber welchem der Name eines Thiers, oder ſonſt eines Dinges ſteht, das noch etwas duͤmmer iſt, als der Verfaſſer. Wir wuͤrden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei- ne poetiſche Wahrſcheinlichkeit, oder gar eine Sit- tenlehre darinnen ſuchen wollten. Die Ausfuͤh- rung der Fabel mag noch ſo trocken, noch ſo abge- ſchmackt, noch ſo undeutlich ſeyn; ſo iſt doch das, was ein ſolcher Fabeldichter im Namen ſeines Thiers ſagt, fuͤr eine unvernuͤnftige Beſtie noch allemal klug genug geſprochen. Er ſchreibt: Der ‒ ‒ eine Fabel. Und ſiehe, ſo iſt es eine Fabel! Mehr ge- hoͤrt dazu nicht.
Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern Verſtande, und zwar von ſolchen Erzaͤhlungen gebraucht, welche zwar woͤglich, aber nicht wahrſcheinlich ſind. Daß ein Frauenzimmer ſich uͤber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der- geſtalt betruͤbt, daß ſie ſich ſelbſt ums Leben bringt; und daß es Liebhaber giebt, welche uͤber den Ver- luſt ihrer Schoͤnen ſo untroͤſtbar ſind, daß ſie in ganzem Ernſte Anſtalt machen, ſich zu erſtechen:
Das
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Beytrag
Fabel.
Eine Fabel iſt, ordentlicher Weiſe, und beſon-
ders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein
ſolches Gedicht, uͤber welchem der Name eines
Thiers, oder ſonſt eines Dinges ſteht, das noch
etwas duͤmmer iſt, als der Verfaſſer. Wir
wuͤrden zu viel von ihm fodern, wenn wir ei-
ne poetiſche Wahrſcheinlichkeit, oder gar eine Sit-
tenlehre darinnen ſuchen wollten. Die Ausfuͤh-
rung der Fabel mag noch ſo trocken, noch ſo abge-
ſchmackt, noch ſo undeutlich ſeyn; ſo iſt doch das,
was ein ſolcher Fabeldichter im Namen ſeines Thiers
ſagt, fuͤr eine unvernuͤnftige Beſtie noch allemal
klug genug geſprochen. Er ſchreibt: Der ‒ ‒ eine
Fabel. Und ſiehe, ſo iſt es eine Fabel! Mehr ge-
hoͤrt dazu nicht.
Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern
Verſtande, und zwar von ſolchen Erzaͤhlungen
gebraucht, welche zwar woͤglich, aber nicht
wahrſcheinlich ſind. Daß ein Frauenzimmer
ſich uͤber den vermeynten Tod ihres Liebhabers der-
geſtalt betruͤbt, daß ſie ſich ſelbſt ums Leben bringt;
und daß es Liebhaber giebt, welche uͤber den Ver-
luſt ihrer Schoͤnen ſo untroͤſtbar ſind, daß ſie in
ganzem Ernſte Anſtalt machen, ſich zu erſtechen:
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/216>, abgerufen am 22.02.2025.
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