Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahre tiefen Friedens, funfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten (S. 154. 163) und die römischen Waffen gelangten auf der spanischen Halbinsel bis zum atlantischen Ocean (S. 17), auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau (S. 163), aber es waren im Ganzen wenig fruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der ,auswärtigen Gemeinden in der Willkür, der Botmässigkeit, der Herrschaft oder der Freundschaft der römischen Bürgerschaft' * ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich den Erwerb einer besseren Zeit zu realisiren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Unterthänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vor- hang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesammte antike Ci- vilisation immer bestimmter in dem römischen Staat zusammen- gefasst, immer allgemeingültiger in demselben formulirt ward, fingen zugleich jenseit der Alpen und jenseit des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen Nationen an aus der Vertheidigung zum
*Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani, die officielle Bezeichnung der nicht italischen Unterthanen und Clienten im Gegensatz der italischen ,Eidgenossen und Stammverwandten (socii nominisve Latini).
KAPITEL XI. Das Gemeinwesen und seine Oekonomie.
Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahre tiefen Friedens, funfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten (S. 154. 163) und die römischen Waffen gelangten auf der spanischen Halbinsel bis zum atlantischen Ocean (S. 17), auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau (S. 163), aber es waren im Ganzen wenig fruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der ‚auswärtigen Gemeinden in der Willkür, der Botmäſsigkeit, der Herrschaft oder der Freundschaft der römischen Bürgerschaft‘ * ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich den Erwerb einer besseren Zeit zu realisiren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Unterthänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vor- hang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesammte antike Ci- vilisation immer bestimmter in dem römischen Staat zusammen- gefaſst, immer allgemeingültiger in demselben formulirt ward, fingen zugleich jenseit der Alpen und jenseit des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen Nationen an aus der Vertheidigung zum
*Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani, die officielle Bezeichnung der nicht italischen Unterthanen und Clienten im Gegensatz der italischen ‚Eidgenossen und Stammverwandten (socii nominisve Latini).
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KAPITEL XI.
Das Gemeinwesen und seine Oekonomie.
Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahre tiefen Friedens,
funfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es
ist diese Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte
kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher Richtung die Alpen
überschritten (S. 154. 163) und die römischen Waffen gelangten
auf der spanischen Halbinsel bis zum atlantischen Ocean (S. 17),
auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau (S. 163), aber
es waren im Ganzen wenig fruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der
‚auswärtigen Gemeinden in der Willkür, der Botmäſsigkeit, der
Herrschaft oder der Freundschaft der römischen Bürgerschaft‘ *
ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich den Erwerb
einer besseren Zeit zu realisiren und die in loseren Formen der
Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in
die volle Unterthänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vor-
hang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares
Sinken der römischen Macht. Während die gesammte antike Ci-
vilisation immer bestimmter in dem römischen Staat zusammen-
gefaſst, immer allgemeingültiger in demselben formulirt ward,
fingen zugleich jenseit der Alpen und jenseit des Euphrat die von
ihr ausgeschlossenen Nationen an aus der Vertheidigung zum
* Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi
Romani, die officielle Bezeichnung der nicht italischen Unterthanen und
Clienten im Gegensatz der italischen ‚Eidgenossen und Stammverwandten
(socii nominisve Latini).
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. [360]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/370>, abgerufen am 08.07.2024.
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