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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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So fuhren sie unter freundschaftlich wehmüthi-
gen Gesprächen noch drey Stunden fort. Kron-
helm fragte seinen Freund etlichemal, ob er nun
nicht aussteigen und umkehren wollte? Aber Sieg-
wart wollte gar nichts davon hören. Laß mir noch
die Freude, sagte er, dich ein paar Stunden länger
zu haben! Wer weis, wenn wir wieder so beysam-
men sind. Zuletzt wagte Kronhelm nicht mehr,
etwas zu sagen, bis sie endlich in ein Dorf, 5 Stun-
den von Jngolstadt kamen.

Hier hielt der Fuhrmann, um die Pferde zu füt-
tern. Siegwart und Kronhelm assen etwas weni-
ges zusammen, und sprachen nur sehr selten. Viel-
leicht ist dieß das letzte Mittagsessen, sagte Sieg-
wart seufzend. -- Nicht so zaghaft, Bruder, ver-
setzte Kronhelm; man sieht sich immer wieder, hat
einmal ein weiser Mann gesagt; seitdem ist dieß
mein Trost bey jeder Trennung. Wer weis, ob
ich nicht in wenig Wochen oder Tagen wieder in
Jngolstadt bin? Und dann sind wir ja nicht so
weit von einander. -- Hofnung ist freylich das
beste, wenn man sonst nichts hat, sagte Siegwart.

Endlich sagte der Fuhrmann: Er habe ange-
spannt. Kronhelm, der eben ein Glas Mallaga
in der Hand hatte, und trinken wollte, stellte das



So fuhren ſie unter freundſchaftlich wehmuͤthi-
gen Geſpraͤchen noch drey Stunden fort. Kron-
helm fragte ſeinen Freund etlichemal, ob er nun
nicht ausſteigen und umkehren wollte? Aber Sieg-
wart wollte gar nichts davon hoͤren. Laß mir noch
die Freude, ſagte er, dich ein paar Stunden laͤnger
zu haben! Wer weis, wenn wir wieder ſo beyſam-
men ſind. Zuletzt wagte Kronhelm nicht mehr,
etwas zu ſagen, bis ſie endlich in ein Dorf, 5 Stun-
den von Jngolſtadt kamen.

Hier hielt der Fuhrmann, um die Pferde zu fuͤt-
tern. Siegwart und Kronhelm aſſen etwas weni-
ges zuſammen, und ſprachen nur ſehr ſelten. Viel-
leicht iſt dieß das letzte Mittagseſſen, ſagte Sieg-
wart ſeufzend. — Nicht ſo zaghaft, Bruder, ver-
ſetzte Kronhelm; man ſieht ſich immer wieder, hat
einmal ein weiſer Mann geſagt; ſeitdem iſt dieß
mein Troſt bey jeder Trennung. Wer weis, ob
ich nicht in wenig Wochen oder Tagen wieder in
Jngolſtadt bin? Und dann ſind wir ja nicht ſo
weit von einander. — Hofnung iſt freylich das
beſte, wenn man ſonſt nichts hat, ſagte Siegwart.

Endlich ſagte der Fuhrmann: Er habe ange-
ſpannt. Kronhelm, der eben ein Glas Mallaga
in der Hand hatte, und trinken wollte, ſtellte das

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[751/0331] So fuhren ſie unter freundſchaftlich wehmuͤthi- gen Geſpraͤchen noch drey Stunden fort. Kron- helm fragte ſeinen Freund etlichemal, ob er nun nicht ausſteigen und umkehren wollte? Aber Sieg- wart wollte gar nichts davon hoͤren. Laß mir noch die Freude, ſagte er, dich ein paar Stunden laͤnger zu haben! Wer weis, wenn wir wieder ſo beyſam- men ſind. Zuletzt wagte Kronhelm nicht mehr, etwas zu ſagen, bis ſie endlich in ein Dorf, 5 Stun- den von Jngolſtadt kamen. Hier hielt der Fuhrmann, um die Pferde zu fuͤt- tern. Siegwart und Kronhelm aſſen etwas weni- ges zuſammen, und ſprachen nur ſehr ſelten. Viel- leicht iſt dieß das letzte Mittagseſſen, ſagte Sieg- wart ſeufzend. — Nicht ſo zaghaft, Bruder, ver- ſetzte Kronhelm; man ſieht ſich immer wieder, hat einmal ein weiſer Mann geſagt; ſeitdem iſt dieß mein Troſt bey jeder Trennung. Wer weis, ob ich nicht in wenig Wochen oder Tagen wieder in Jngolſtadt bin? Und dann ſind wir ja nicht ſo weit von einander. — Hofnung iſt freylich das beſte, wenn man ſonſt nichts hat, ſagte Siegwart. Endlich ſagte der Fuhrmann: Er habe ange- ſpannt. Kronhelm, der eben ein Glas Mallaga in der Hand hatte, und trinken wollte, ſtellte das

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 751. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/331>, abgerufen am 27.04.2024.