Glas wieder hin, ohne einen Tropfen zu trinken, stand auf, legte seinen Ueberrock an, gab seinem Be- dienten seinen Stock und Degen, und umarmte seinen Siegwart. Keiner konnte ein Wort sprechen. Sie gingen aus der Thüre, und und umarten sich noch ein- mal. Gott sey mit dir! sagte jeder! -- Grüß The- resen tausendmal, und Marianen! Leb wohl, Bruder, vergiß meiner nicht, schreib mir fleißig, und sey glück- lich! Mit diesen Worten stieg Kronhelm in den Wa- gen. Siegwart eilte, thränenlos, an den Schlag, drück- te seinem Freunde noch einmal die Hand. Marx nahm den Hut weinend ab, und der Wagen schwand aus Siegwarts Augen.
Die Wirthsleute stunden da, und wisperten zu- sammen. Die Herren müssen recht viel auf einan- der halten, sagte die Wirthin; sie machen, daß einem das Weinen ankommt. Ja, ja, das scheint ein braver Herr zu seyn, der da fortgefahren ist. Er war so still und freundlich, daß man ihm nicht bös seyn konnte. Nun, Gott geb ihm Glück auf den Weg! Diese Rede voll Einfalt rührte unsern Siegwart so sehr, daß ihm nun erst die Thränen in die Augen schossen. Er trank noch ein paar Gläser Wein, bezahlte, und ritt fort.
Glas wieder hin, ohne einen Tropfen zu trinken, ſtand auf, legte ſeinen Ueberrock an, gab ſeinem Be- dienten ſeinen Stock und Degen, und umarmte ſeinen Siegwart. Keiner konnte ein Wort ſprechen. Sie gingen aus der Thuͤre, und und umarten ſich noch ein- mal. Gott ſey mit dir! ſagte jeder! — Gruͤß The- reſen tauſendmal, und Marianen! Leb wohl, Bruder, vergiß meiner nicht, ſchreib mir fleißig, und ſey gluͤck- lich! Mit dieſen Worten ſtieg Kronhelm in den Wa- gen. Siegwart eilte, thraͤnenlos, an den Schlag, druͤck- te ſeinem Freunde noch einmal die Hand. Marx nahm den Hut weinend ab, und der Wagen ſchwand aus Siegwarts Augen.
Die Wirthsleute ſtunden da, und wiſperten zu- ſammen. Die Herren muͤſſen recht viel auf einan- der halten, ſagte die Wirthin; ſie machen, daß einem das Weinen ankommt. Ja, ja, das ſcheint ein braver Herr zu ſeyn, der da fortgefahren iſt. Er war ſo ſtill und freundlich, daß man ihm nicht boͤs ſeyn konnte. Nun, Gott geb ihm Gluͤck auf den Weg! Dieſe Rede voll Einfalt ruͤhrte unſern Siegwart ſo ſehr, daß ihm nun erſt die Thraͤnen in die Augen ſchoſſen. Er trank noch ein paar Glaͤſer Wein, bezahlte, und ritt fort.
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Glas wieder hin, ohne einen Tropfen zu trinken,
ſtand auf, legte ſeinen Ueberrock an, gab ſeinem Be-
dienten ſeinen Stock und Degen, und umarmte ſeinen
Siegwart. Keiner konnte ein Wort ſprechen. Sie
gingen aus der Thuͤre, und und umarten ſich noch ein-
mal. Gott ſey mit dir! ſagte jeder! — Gruͤß The-
reſen tauſendmal, und Marianen! Leb wohl, Bruder,
vergiß meiner nicht, ſchreib mir fleißig, und ſey gluͤck-
lich! Mit dieſen Worten ſtieg Kronhelm in den Wa-
gen. Siegwart eilte, thraͤnenlos, an den Schlag, druͤck-
te ſeinem Freunde noch einmal die Hand. Marx nahm
den Hut weinend ab, und der Wagen ſchwand aus
Siegwarts Augen.
Die Wirthsleute ſtunden da, und wiſperten zu-
ſammen. Die Herren muͤſſen recht viel auf einan-
der halten, ſagte die Wirthin; ſie machen, daß
einem das Weinen ankommt. Ja, ja, das ſcheint
ein braver Herr zu ſeyn, der da fortgefahren iſt.
Er war ſo ſtill und freundlich, daß man ihm nicht
boͤs ſeyn konnte. Nun, Gott geb ihm Gluͤck auf
den Weg! Dieſe Rede voll Einfalt ruͤhrte unſern
Siegwart ſo ſehr, daß ihm nun erſt die Thraͤnen
in die Augen ſchoſſen. Er trank noch ein paar
Glaͤſer Wein, bezahlte, und ritt fort.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/332>, abgerufen am 22.11.2024.
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