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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Gutfrieds Umständen. -- Werden Sie nicht auch
einmal eine Schlittenfahrt mitmachen? fragte sie
endlich. O ja! war seine Antwort, sobald wieder
Gelegenheit da ist -- plötzlich fuhr der Gedanke,
wie ein Blitz, durch seine Seele: Sollt ich sie
wol bitten, mit mir zu fahren? Jndem er noch
zweifelte, und eben etwas sagen wollte, kam Ma-
rianens Mutter, machte ihm ein ausserordentlich ver-
bindliches Kompliment, und lobte ihn mit vieler Wär-
me wegen seines Spiels. Jndem kamen noch andre,
die ihn auch mit Lobsprüchen überhäuften; man
hielt sein Erröthen für Bescheidenheit, und er konn-
te nun Marianen, die noch bey ihm stand, weit
freyer ansehn, und ihre unaussprechlich regelmässige
Züge, ihr hellglänzendes Aug, und die feinste weiße
Haut bewundern. So wohl und bang, wie in
diesem Augenblick, war ihm noch nie gewesen.

Während daß noch jedermann um den beglück-
ten Siegwart herum stand, klopfte endlich Maria-
nens Bruder, der schon längst vor Eifersucht ge-
glüht hatte, voll Verdruß auf die Violine, um die
Spieler zusammen zu rufen, und fieng ein Kon-
zert zu spielen an. Er machte es nicht ganz schlecht;
aber nach Siegwart konnte man ihn kaum mehr
hören. Als er ausgespielt hatte, klatschte niemand



Gutfrieds Umſtaͤnden. — Werden Sie nicht auch
einmal eine Schlittenfahrt mitmachen? fragte ſie
endlich. O ja! war ſeine Antwort, ſobald wieder
Gelegenheit da iſt — ploͤtzlich fuhr der Gedanke,
wie ein Blitz, durch ſeine Seele: Sollt ich ſie
wol bitten, mit mir zu fahren? Jndem er noch
zweifelte, und eben etwas ſagen wollte, kam Ma-
rianens Mutter, machte ihm ein auſſerordentlich ver-
bindliches Kompliment, und lobte ihn mit vieler Waͤr-
me wegen ſeines Spiels. Jndem kamen noch andre,
die ihn auch mit Lobſpruͤchen uͤberhaͤuften; man
hielt ſein Erroͤthen fuͤr Beſcheidenheit, und er konn-
te nun Marianen, die noch bey ihm ſtand, weit
freyer anſehn, und ihre unausſprechlich regelmaͤſſige
Zuͤge, ihr hellglaͤnzendes Aug, und die feinſte weiße
Haut bewundern. So wohl und bang, wie in
dieſem Augenblick, war ihm noch nie geweſen.

Waͤhrend daß noch jedermann um den begluͤck-
ten Siegwart herum ſtand, klopfte endlich Maria-
nens Bruder, der ſchon laͤngſt vor Eiferſucht ge-
gluͤht hatte, voll Verdruß auf die Violine, um die
Spieler zuſammen zu rufen, und fieng ein Kon-
zert zu ſpielen an. Er machte es nicht ganz ſchlecht;
aber nach Siegwart konnte man ihn kaum mehr
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[630/0210] Gutfrieds Umſtaͤnden. — Werden Sie nicht auch einmal eine Schlittenfahrt mitmachen? fragte ſie endlich. O ja! war ſeine Antwort, ſobald wieder Gelegenheit da iſt — ploͤtzlich fuhr der Gedanke, wie ein Blitz, durch ſeine Seele: Sollt ich ſie wol bitten, mit mir zu fahren? Jndem er noch zweifelte, und eben etwas ſagen wollte, kam Ma- rianens Mutter, machte ihm ein auſſerordentlich ver- bindliches Kompliment, und lobte ihn mit vieler Waͤr- me wegen ſeines Spiels. Jndem kamen noch andre, die ihn auch mit Lobſpruͤchen uͤberhaͤuften; man hielt ſein Erroͤthen fuͤr Beſcheidenheit, und er konn- te nun Marianen, die noch bey ihm ſtand, weit freyer anſehn, und ihre unausſprechlich regelmaͤſſige Zuͤge, ihr hellglaͤnzendes Aug, und die feinſte weiße Haut bewundern. So wohl und bang, wie in dieſem Augenblick, war ihm noch nie geweſen. Waͤhrend daß noch jedermann um den begluͤck- ten Siegwart herum ſtand, klopfte endlich Maria- nens Bruder, der ſchon laͤngſt vor Eiferſucht ge- gluͤht hatte, voll Verdruß auf die Violine, um die Spieler zuſammen zu rufen, und fieng ein Kon- zert zu ſpielen an. Er machte es nicht ganz ſchlecht; aber nach Siegwart konnte man ihn kaum mehr hoͤren. Als er ausgeſpielt hatte, klatſchte niemand

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/210>, abgerufen am 01.05.2024.