§. 1. Einwurff. Sagst du: Wie soll ich es aber machen, daß ich ihne an- schauen möge? Mich dunckt ich habe ein Füncklein des Verlangens nach JESU, aber ich kan ihn doch nirgends sehen, gehe ich stracks vor mich, so ist er nicht da/ gehe ich zuruck/ so spüre ich ihne nicht; Jst er zur Lincken/ so ergreiff ich ihn nicht/ verbirget er sich zur Rechten/ so sehe ich ihne nichta.
daß man GOtt um den Heili- gen Geist bitten müsse:
§. 2. Antwort: Lieber Mensch! du must GOTT demüthig bit- ten, daß er dir den Heil. Geist gebe, der dir deine Gemüths-Augen eröffne, daß er dir gebe erleuchtete Augen des Verstands; du must GOtt bitten, daß er deine Sinnen also änderen, deine Gedancken also leiten wolle, daß JESUS niemalen möge aus deiner Ge- dächtnuß kommen, daß du immer aus diesem Brunnen trincken mö- gest: siehe! er buhlet um dein Hertz, als dein Bräutigam, sich mit dir zu vermählen, und sich recht mit dir bekannt zu machen; Höre ihn den Bräutigam selber: Jch will mich mit dir verloben in E- wigkeit/ ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Ge- richt/ in Gnad und Barmhertzigkeit/ ja im Glauben will ich mich mit dir verloben/ und du wirst den HErrn kennenb. Er ist vor dir als eine starck lauffende und rauschende Brunnröhren, um zu stillen deinen Durst, so du hast nach mehrer Erkanntnuß GOttes und dein selbst, nach mehrerer Erfahrung der Krafft seines Todes und Auferste- hung, nach stärckeren und beständigern Würckungen des H. Geistes, nach einem lebendigeren Eindruck von denen Schönheiten und Herrlich- keiten seines unsichtbaren Reichs; Es belanget ihne, biß du ihme dein läres, erlächet, verwelcket und dürres Hertz dastellest, daß er es füllen könne; Aber ach! wie klein ist dein Geschirr! wie ein engen Hals hat es! wie zitterest du mit den Händen? ich will sagen, wie schwach ist dein Glaub, wie eigensüchtig dein Sinn, wie unandäch- tig und ausschweiffend dein Hertz! daß der gnadenreiche Balsam Mit was überzeu- genden Wor- ten JE- sus die Sünder zu sich ruffet.kaum Tropffen-weise in dich einfliessen kan.
§. 3. Er meldet sich stets an der Thüren deines Willens, ob du ihm dieselbe eröffnen wollest: Er rufft dir zu: O Mensch, o Mensch! wo ist deine Seel mit ihren Gedancken? wie flattert sie hin und her? sie findet ja nirgends keine Ruhe: ach du von eigenem Fliegen abge-
matte-
aJob. XXIII. 7. 8.
bHos. II. 19. 20. 2 Cor. XI. 2.
Geiſtliche Sonnen-Wende
Das ſechſte Capitel.
Einwurff beantwor- tet und ge- zeiget;
§. 1. Einwurff. Sagſt du: Wie ſoll ich es aber machen, daß ich ihne an- ſchauen moͤge? Mich dunckt ich habe ein Fuͤncklein des Verlangens nach JESU, aber ich kan ihn doch nirgends ſehen, gehe ich ſtracks vor mich, ſo iſt er nicht da/ gehe ich zuruck/ ſo ſpuͤre ich ihne nicht; Jſt er zur Lincken/ ſo ergreiff ich ihn nicht/ verbirget er ſich zur Rechten/ ſo ſehe ich ihne nichta.
daß man GOtt um den Heili- gen Geiſt bitten muͤſſe:
§. 2. Antwort: Lieber Menſch! du muſt GOTT demuͤthig bit- ten, daß er dir den Heil. Geiſt gebe, der dir deine Gemuͤths-Augen eroͤffne, daß er dir gebe erleuchtete Augen des Verſtands; du muſt GOtt bitten, daß er deine Sinnen alſo aͤnderen, deine Gedancken alſo leiten wolle, daß JESUS niemalen moͤge aus deiner Ge- daͤchtnuß kommen, daß du immer aus dieſem Brunnen trincken moͤ- geſt: ſiehe! er buhlet um dein Hertz, als dein Braͤutigam, ſich mit dir zu vermaͤhlen, und ſich recht mit dir bekannt zu machen; Hoͤre ihn den Braͤutigam ſelber: Jch will mich mit dir verloben in E- wigkeit/ ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Ge- richt/ in Gnad und Barmhertzigkeit/ ja im Glauben will ich mich mit dir verloben/ und du wirſt den HErrn kennenb. Er iſt vor dir als eine ſtarck lauffende und rauſchende Brunnroͤhren, um zu ſtillen deinen Durſt, ſo du haſt nach mehrer Erkanntnuß GOttes und dein ſelbſt, nach mehrerer Erfahrung der Krafft ſeines Todes und Auferſte- hung, nach ſtaͤrckeren und beſtaͤndigern Wuͤrckungen des H. Geiſtes, nach einem lebendigeren Eindruck von denen Schoͤnheiten und Herrlich- keiten ſeines unſichtbaren Reichs; Es belanget ihne, biß du ihme dein laͤres, erlaͤchet, verwelcket und duͤrres Hertz daſtelleſt, daß er es fuͤllen koͤnne; Aber ach! wie klein iſt dein Geſchirr! wie ein engen Hals hat es! wie zittereſt du mit den Haͤnden? ich will ſagen, wie ſchwach iſt dein Glaub, wie eigenſuͤchtig dein Sinn, wie unandaͤch- tig und ausſchweiffend dein Hertz! daß der gnadenreiche Balſam Mit was uͤberzeu- genden Wor- ten JE- ſus die Suͤnder zu ſich ruffet.kaum Tropffen-weiſe in dich einflieſſen kan.
§. 3. Er meldet ſich ſtets an der Thuͤren deines Willens, ob du ihm dieſelbe eroͤffnen wolleſt: Er rufft dir zu: O Menſch, o Menſch! wo iſt deine Seel mit ihren Gedancken? wie flattert ſie hin und her? ſie findet ja nirgends keine Ruhe: ach du von eigenem Fliegen abge-
matte-
aJob. XXIII. 7. 8.
bHoſ. II. 19. 20. 2 Cor. XI. 2.
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Geiſtliche Sonnen-Wende
Das ſechſte Capitel.
§. 1. Einwurff. Sagſt du: Wie ſoll ich es aber machen, daß ich ihne an-
ſchauen moͤge? Mich dunckt ich habe ein Fuͤncklein des Verlangens
nach JESU, aber ich kan ihn doch nirgends ſehen, gehe ich ſtracks
vor mich, ſo iſt er nicht da/ gehe ich zuruck/ ſo ſpuͤre ich ihne
nicht; Jſt er zur Lincken/ ſo ergreiff ich ihn nicht/ verbirget er
ſich zur Rechten/ ſo ſehe ich ihne nicht a.
§. 2. Antwort: Lieber Menſch! du muſt GOTT demuͤthig bit-
ten, daß er dir den Heil. Geiſt gebe, der dir deine Gemuͤths-Augen
eroͤffne, daß er dir gebe erleuchtete Augen des Verſtands; du muſt
GOtt bitten, daß er deine Sinnen alſo aͤnderen, deine Gedancken
alſo leiten wolle, daß JESUS niemalen moͤge aus deiner Ge-
daͤchtnuß kommen, daß du immer aus dieſem Brunnen trincken moͤ-
geſt: ſiehe! er buhlet um dein Hertz, als dein Braͤutigam, ſich mit
dir zu vermaͤhlen, und ſich recht mit dir bekannt zu machen; Hoͤre
ihn den Braͤutigam ſelber: Jch will mich mit dir verloben in E-
wigkeit/ ich will mich mit dir vertrauen in Gerechtigkeit und Ge-
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mit dir verloben/ und du wirſt den HErrn kennen b. Er iſt vor dir
als eine ſtarck lauffende und rauſchende Brunnroͤhren, um zu ſtillen
deinen Durſt, ſo du haſt nach mehrer Erkanntnuß GOttes und dein
ſelbſt, nach mehrerer Erfahrung der Krafft ſeines Todes und Auferſte-
hung, nach ſtaͤrckeren und beſtaͤndigern Wuͤrckungen des H. Geiſtes, nach
einem lebendigeren Eindruck von denen Schoͤnheiten und Herrlich-
keiten ſeines unſichtbaren Reichs; Es belanget ihne, biß du ihme dein
laͤres, erlaͤchet, verwelcket und duͤrres Hertz daſtelleſt, daß er es
fuͤllen koͤnne; Aber ach! wie klein iſt dein Geſchirr! wie ein engen
Hals hat es! wie zittereſt du mit den Haͤnden? ich will ſagen, wie
ſchwach iſt dein Glaub, wie eigenſuͤchtig dein Sinn, wie unandaͤch-
tig und ausſchweiffend dein Hertz! daß der gnadenreiche Balſam
kaum Tropffen-weiſe in dich einflieſſen kan.
Mit was
uͤberzeu-
genden
Wor-
ten JE-
ſus die
Suͤnder
zu ſich
ruffet.
§. 3. Er meldet ſich ſtets an der Thuͤren deines Willens, ob du
ihm dieſelbe eroͤffnen wolleſt: Er rufft dir zu: O Menſch, o Menſch!
wo iſt deine Seel mit ihren Gedancken? wie flattert ſie hin und her?
ſie findet ja nirgends keine Ruhe: ach du von eigenem Fliegen abge-
matte-
a Job. XXIII. 7. 8.
b Hoſ. II. 19. 20. 2 Cor. XI. 2.
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Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/228>, abgerufen am 13.11.2024.
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