Hamburgische Dramaturgie. Neun und siebzigstes Stück.
Den 2ten Februar, 1768.
Und nun wieder auf unsern Richard zu kom- men. -- Richard also erweckt eben so we- nig Schrecken, als Mitleid: weder Schre- cken in dem gemißbrauchten Verstande, für die plötzliche Ueberraschung des Mitleids; noch in dem eigentlichen Verstande des Aristoteles, für heilsame Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne. Denn wenn er diese erregte, würde er auch Mitleid erregen; so gewiß er hin- wiederum Furcht erregen würde, wenn wir ihn unsers Mitleids nur im geringsten würdig fän- den. Aber er ist so ein abscheulicher Kerl, so ein eingefleischter Teufel, in dem wir so völlig keinen einzigen ähnlichen Zug mit uns selbst fin- den, daß ich glaube, wir könnten ihn vor un- sern Augen den Martern der Hölle übergeben sehen, ohne das geringste für ihn zu empfinden, ohne im geringsten zu fürchten, daß, wenn solche
Strafe
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Hamburgiſche Dramaturgie. Neun und ſiebzigſtes Stück.
Den 2ten Februar, 1768.
Und nun wieder auf unſern Richard zu kom- men. — Richard alſo erweckt eben ſo we- nig Schrecken, als Mitleid: weder Schre- cken in dem gemißbrauchten Verſtande, für die plötzliche Ueberraſchung des Mitleids; noch in dem eigentlichen Verſtande des Ariſtoteles, für heilſame Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne. Denn wenn er dieſe erregte, würde er auch Mitleid erregen; ſo gewiß er hin- wiederum Furcht erregen würde, wenn wir ihn unſers Mitleids nur im geringſten würdig fän- den. Aber er iſt ſo ein abſcheulicher Kerl, ſo ein eingefleiſchter Teufel, in dem wir ſo völlig keinen einzigen ähnlichen Zug mit uns ſelbſt fin- den, daß ich glaube, wir könnten ihn vor un- ſern Augen den Martern der Hölle übergeben ſehen, ohne das geringſte für ihn zu empfinden, ohne im geringſten zu fürchten, daß, wenn ſolche
Strafe
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[[209]/0215]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Neun und ſiebzigſtes Stück.
Den 2ten Februar, 1768.
Und nun wieder auf unſern Richard zu kom-
men. — Richard alſo erweckt eben ſo we-
nig Schrecken, als Mitleid: weder Schre-
cken in dem gemißbrauchten Verſtande, für die
plötzliche Ueberraſchung des Mitleids; noch in
dem eigentlichen Verſtande des Ariſtoteles, für
heilſame Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück
treffen könne. Denn wenn er dieſe erregte,
würde er auch Mitleid erregen; ſo gewiß er hin-
wiederum Furcht erregen würde, wenn wir ihn
unſers Mitleids nur im geringſten würdig fän-
den. Aber er iſt ſo ein abſcheulicher Kerl, ſo
ein eingefleiſchter Teufel, in dem wir ſo völlig
keinen einzigen ähnlichen Zug mit uns ſelbſt fin-
den, daß ich glaube, wir könnten ihn vor un-
ſern Augen den Martern der Hölle übergeben
ſehen, ohne das geringſte für ihn zu empfinden,
ohne im geringſten zu fürchten, daß, wenn ſolche
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [209]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/215>, abgerufen am 03.12.2024.
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