Strafe nur auf solche Verbrechen folge, sie auch unsrer erwarte. Und was ist endlich das Un- glück, die Strafe, die ihn trift? Nach so vie- len Missethaten, die wir mit ansehen müssen, hören wir, daß er mit dem Degen in der Faust gestorben. Als der Königinn dieses erzehlt wird, läßt sie der Dichter sagen:
Dieß ist etwas! --
Jch habe mich nie enthalten können, bey mir nachzusprechen: nein, das ist gar nichts! Wie mancher gute König ist so geblieben, indem er seine Krone wider einen mächtigen Rebellen be- haupten wollen? Richard stirbt doch, als ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und so ein Tod sollte mich für den Unwillen schadlos hal- ten, den ich das ganze Stück durch, über den Triumph seiner Bosheiten empfunden? (Jch glaube, die griechische Sprache ist die einzige, welche ein eigenes Wort hat, diesen Unwillen über das Glück eines Bösewichts, auszudrücken: nemesis, nemesan. (*)) Sein Tod selbst, wel- cher wenigstens meine Gerechtigkeitsliebe befrie- digen sollte, unterhält noch meine Nemesis. Du bist wohlfeil weggekommen! denke ich: aber gut, daß es noch eine andere Gerechtigkeit giebt, als die poetische!
Man wird vielleicht sagen: nun wohl! wir wollen den Richard aufgeben; das Stück heißt
zwar
(*)Arist. Rhet. lib. II. cap. 9.
Strafe nur auf ſolche Verbrechen folge, ſie auch unſrer erwarte. Und was iſt endlich das Un- glück, die Strafe, die ihn trift? Nach ſo vie- len Miſſethaten, die wir mit anſehen müſſen, hören wir, daß er mit dem Degen in der Fauſt geſtorben. Als der Königinn dieſes erzehlt wird, läßt ſie der Dichter ſagen:
Dieß iſt etwas! —
Jch habe mich nie enthalten können, bey mir nachzuſprechen: nein, das iſt gar nichts! Wie mancher gute König iſt ſo geblieben, indem er ſeine Krone wider einen mächtigen Rebellen be- haupten wollen? Richard ſtirbt doch, als ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und ſo ein Tod ſollte mich für den Unwillen ſchadlos hal- ten, den ich das ganze Stück durch, über den Triumph ſeiner Bosheiten empfunden? (Jch glaube, die griechiſche Sprache iſt die einzige, welche ein eigenes Wort hat, dieſen Unwillen über das Glück eines Böſewichts, auszudrücken: νεμεσις, νεμεσαν. (*)) Sein Tod ſelbſt, wel- cher wenigſtens meine Gerechtigkeitsliebe befrie- digen ſollte, unterhält noch meine Nemeſis. Du biſt wohlfeil weggekommen! denke ich: aber gut, daß es noch eine andere Gerechtigkeit giebt, als die poetiſche!
Man wird vielleicht ſagen: nun wohl! wir wollen den Richard aufgeben; das Stück heißt
zwar
(*)Ariſt. Rhet. lib. II. cap. 9.
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Strafe nur auf ſolche Verbrechen folge, ſie auch
unſrer erwarte. Und was iſt endlich das Un-
glück, die Strafe, die ihn trift? Nach ſo vie-
len Miſſethaten, die wir mit anſehen müſſen,
hören wir, daß er mit dem Degen in der Fauſt
geſtorben. Als der Königinn dieſes erzehlt
wird, läßt ſie der Dichter ſagen:
Dieß iſt etwas! —
Jch habe mich nie enthalten können, bey mir
nachzuſprechen: nein, das iſt gar nichts! Wie
mancher gute König iſt ſo geblieben, indem er
ſeine Krone wider einen mächtigen Rebellen be-
haupten wollen? Richard ſtirbt doch, als ein
Mann, auf dem Bette der Ehre. Und ſo ein
Tod ſollte mich für den Unwillen ſchadlos hal-
ten, den ich das ganze Stück durch, über den
Triumph ſeiner Bosheiten empfunden? (Jch
glaube, die griechiſche Sprache iſt die einzige,
welche ein eigenes Wort hat, dieſen Unwillen
über das Glück eines Böſewichts, auszudrücken:
νεμεσις, νεμεσαν. (*)) Sein Tod ſelbſt, wel-
cher wenigſtens meine Gerechtigkeitsliebe befrie-
digen ſollte, unterhält noch meine Nemeſis.
Du biſt wohlfeil weggekommen! denke ich: aber
gut, daß es noch eine andere Gerechtigkeit giebt,
als die poetiſche!
Man wird vielleicht ſagen: nun wohl! wir
wollen den Richard aufgeben; das Stück heißt
zwar
(*) Ariſt. Rhet. lib. II. cap. 9.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/216>, abgerufen am 21.11.2024.
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