Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761.

Bild:
<< vorherige Seite
Cosmologische Briefe
Zweyter Brief.

Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-
gnügen durchgelesen, zeigt mir, daß Sie sich in
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit

und Ungewißheit unserer Weltweisen bekannt gemacht,
und allem Ansehen nach mehr gefunden haben, als Sie
anfänglich wissen wollten. Aber darüber befremden
Sie sich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen
und Zweifeln Anlaß geben. Dieses ist der gemeine
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern
kommen, und es ist nur zu bedauern, daß es damit et-
was langsamer zugeht, als wir es wünschten. Ge-
denken Sie aber je nicht, daß es bey diesen Zweifeln
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man sie
nach und nach erörtern, aber auch zugleich neue Fra-
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-
welt wird vorbehalten seyn. Begnügen Sie sich im-
mer mit dem, was wir gewiß wissen, und lassen Sie
künftige Möglichkeiten den Nachkommen zu bestimmen
übrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.

Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-
se Muthmassungen der Weltweisen nur deßwegen so
förchterlich vor, weil sie Ihnen neuer sind, und Sie
werden sich unvermerkt an die Sprache von solchen
Möglichkeiten gewöhnen, die gewiß noch keinem den
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns
auch das schlimmere setzen. Wenn gleich in wenig
Zeit der Erde ein solches Uebel bevorstünde, was wol-

len
Coſmologiſche Briefe
Zweyter Brief.

Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-
gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit

und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht,
und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie
anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden
Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen
und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern
kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et-
was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge-
denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie
nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra-
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-
welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im-
mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie
kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen
uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will.

Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-
ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo
foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie
werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen
Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns
auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig
Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol-

len
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0041" n="8"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Co&#x017F;mologi&#x017F;che Briefe</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zweyter Brief.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>hr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver-<lb/><hi rendition="#et">gnu&#x0364;gen durchgele&#x017F;en, zeigt mir, daß Sie &#x017F;ich in<lb/>
kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit</hi><lb/>
und Ungewißheit un&#x017F;erer Weltwei&#x017F;en bekannt gemacht,<lb/>
und allem An&#x017F;ehen nach mehr gefunden haben, als Sie<lb/>
anfa&#x0364;nglich wi&#x017F;&#x017F;en wollten. Aber daru&#x0364;ber befremden<lb/>
Sie &#x017F;ich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen<lb/>
und Zweifeln Anlaß geben. Die&#x017F;es i&#x017F;t der gemeine<lb/>
Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern<lb/>
kommen, und es i&#x017F;t nur zu bedauern, daß es damit et-<lb/>
was lang&#x017F;amer zugeht, als wir es wu&#x0364;n&#x017F;chten. Ge-<lb/>
denken Sie aber je nicht, daß es bey die&#x017F;en Zweifeln<lb/>
bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man &#x017F;ie<lb/>
nach und nach ero&#x0364;rtern, aber auch zugleich neue Fra-<lb/>
gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach-<lb/>
welt wird vorbehalten &#x017F;eyn. Begnu&#x0364;gen Sie &#x017F;ich im-<lb/>
mer mit dem, was wir gewiß wi&#x017F;&#x017F;en, und la&#x017F;&#x017F;en Sie<lb/>
ku&#x0364;nftige Mo&#x0364;glichkeiten den Nachkommen zu be&#x017F;timmen<lb/>
u&#x0364;brig, wenn es jezt noch nicht angehen will.</p><lb/>
          <p>Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die-<lb/>
&#x017F;e Muthma&#x017F;&#x017F;ungen der Weltwei&#x017F;en nur deßwegen &#x017F;o<lb/>
fo&#x0364;rchterlich vor, weil &#x017F;ie Ihnen neuer &#x017F;ind, und Sie<lb/>
werden &#x017F;ich unvermerkt an die Sprache von &#x017F;olchen<lb/>
Mo&#x0364;glichkeiten gewo&#x0364;hnen, die gewiß noch keinem den<lb/>
Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns<lb/>
auch das &#x017F;chlimmere &#x017F;etzen. Wenn gleich in wenig<lb/>
Zeit der Erde ein &#x017F;olches Uebel bevor&#x017F;tu&#x0364;nde, was wol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">len</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0041] Coſmologiſche Briefe Zweyter Brief. Ihr Schreiben, mein Herr, welches ich mit Ver- gnuͤgen durchgeleſen, zeigt mir, daß Sie ſich in kurzer Zeit den Weltbau, und die Gewißheit und Ungewißheit unſerer Weltweiſen bekannt gemacht, und allem Anſehen nach mehr gefunden haben, als Sie anfaͤnglich wiſſen wollten. Aber daruͤber befremden Sie ſich nicht, daß neue Wahrheiten zu neuen Fragen und Zweifeln Anlaß geben. Dieſes iſt der gemeine Weg, durch den wir von einer Wahrheit zur andern kommen, und es iſt nur zu bedauern, daß es damit et- was langſamer zugeht, als wir es wuͤnſchten. Ge- denken Sie aber je nicht, daß es bey dieſen Zweifeln bleiben werde, und wir haben zu hoffen, daß man ſie nach und nach eroͤrtern, aber auch zugleich neue Fra- gen vorlegen werde, deren Beantwortung der Nach- welt wird vorbehalten ſeyn. Begnuͤgen Sie ſich im- mer mit dem, was wir gewiß wiſſen, und laſſen Sie kuͤnftige Moͤglichkeiten den Nachkommen zu beſtimmen uͤbrig, wenn es jezt noch nicht angehen will. Doch vielleicht kommen Ihnen, mein Herr, die- ſe Muthmaſſungen der Weltweiſen nur deßwegen ſo foͤrchterlich vor, weil ſie Ihnen neuer ſind, und Sie werden ſich unvermerkt an die Sprache von ſolchen Moͤglichkeiten gewoͤhnen, die gewiß noch keinem den Schlaf werden gebrochen haben. Allein laßt uns auch das ſchlimmere ſetzen. Wenn gleich in wenig Zeit der Erde ein ſolches Uebel bevorſtuͤnde, was wol- len

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/41
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Augsburg, 1761, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/41>, abgerufen am 21.12.2024.