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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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hatte draußen gestanden, Tod und Leben vor sich.
Als sie langsam mit furchtsamen Schritten über die
Schwelle trat, sah sie Carlo mit ausgebreiteten Armen
am Tische stehn; die Kniee versagten ihm. Da stürzte
sie mit einem Schrei an seinen Hals.

Die Thür war offen geblieben. Theodor hatte
ihr den Rücken zugewendet, in das Bild Edwards
vertieft, das seitwärts unverhangen auf dem Gerüst
stand. Er hörte Geräusch an der Schwelle und sah
um. In demselben Augenblick lös'te sich Caterina
aus Bianchi's Arm und erschrak. Sie sahen drei
fremde Gestalten verlegen in der offnen Thür, ein
älteres Paar und eine schöne junge Dame. Theodor
erkannte sie.

Wir stören, sagte der Herr. Wir bitten um Ver¬
zeihung; aber die Thür war weit offen. Wir kommen
wieder, wenn es Euch gelegner ist, Signor Bianchi.

Treten Sie ein, sagte Bianchi. Sie stören nicht.
Die hier anwesend sind, sind ein Freund und meine
Frau -- Signora Bianchi. Er betonte das letzte
Wort und sein Blick fiel auf Caterina, die im Ueber¬
schwang des Glückes zu ihm aufsah. Indeß war
Theodor von dem Bilde zurückgetreten. Der Vater
begrüßte ihn mit alter Herzlichkeit und wandte sich
dann dem Kunstwerke zu. Mit den Frauen wechselte
er keinen Gruß. Die lebhafte alte Dame war nach

hatte draußen geſtanden, Tod und Leben vor ſich.
Als ſie langſam mit furchtſamen Schritten über die
Schwelle trat, ſah ſie Carlo mit ausgebreiteten Armen
am Tiſche ſtehn; die Kniee verſagten ihm. Da ſtürzte
ſie mit einem Schrei an ſeinen Hals.

Die Thür war offen geblieben. Theodor hatte
ihr den Rücken zugewendet, in das Bild Edwards
vertieft, das ſeitwärts unverhangen auf dem Gerüſt
ſtand. Er hörte Geräuſch an der Schwelle und ſah
um. In demſelben Augenblick löſ'te ſich Caterina
aus Bianchi's Arm und erſchrak. Sie ſahen drei
fremde Geſtalten verlegen in der offnen Thür, ein
älteres Paar und eine ſchöne junge Dame. Theodor
erkannte ſie.

Wir ſtören, ſagte der Herr. Wir bitten um Ver¬
zeihung; aber die Thür war weit offen. Wir kommen
wieder, wenn es Euch gelegner iſt, Signor Bianchi.

Treten Sie ein, ſagte Bianchi. Sie ſtören nicht.
Die hier anweſend ſind, ſind ein Freund und meine
Frau — Signora Bianchi. Er betonte das letzte
Wort und ſein Blick fiel auf Caterina, die im Ueber¬
ſchwang des Glückes zu ihm aufſah. Indeß war
Theodor von dem Bilde zurückgetreten. Der Vater
begrüßte ihn mit alter Herzlichkeit und wandte ſich
dann dem Kunſtwerke zu. Mit den Frauen wechſelte
er keinen Gruß. Die lebhafte alte Dame war nach

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[218/0230] hatte draußen geſtanden, Tod und Leben vor ſich. Als ſie langſam mit furchtſamen Schritten über die Schwelle trat, ſah ſie Carlo mit ausgebreiteten Armen am Tiſche ſtehn; die Kniee verſagten ihm. Da ſtürzte ſie mit einem Schrei an ſeinen Hals. Die Thür war offen geblieben. Theodor hatte ihr den Rücken zugewendet, in das Bild Edwards vertieft, das ſeitwärts unverhangen auf dem Gerüſt ſtand. Er hörte Geräuſch an der Schwelle und ſah um. In demſelben Augenblick löſ'te ſich Caterina aus Bianchi's Arm und erſchrak. Sie ſahen drei fremde Geſtalten verlegen in der offnen Thür, ein älteres Paar und eine ſchöne junge Dame. Theodor erkannte ſie. Wir ſtören, ſagte der Herr. Wir bitten um Ver¬ zeihung; aber die Thür war weit offen. Wir kommen wieder, wenn es Euch gelegner iſt, Signor Bianchi. Treten Sie ein, ſagte Bianchi. Sie ſtören nicht. Die hier anweſend ſind, ſind ein Freund und meine Frau — Signora Bianchi. Er betonte das letzte Wort und ſein Blick fiel auf Caterina, die im Ueber¬ ſchwang des Glückes zu ihm aufſah. Indeß war Theodor von dem Bilde zurückgetreten. Der Vater begrüßte ihn mit alter Herzlichkeit und wandte ſich dann dem Kunſtwerke zu. Mit den Frauen wechſelte er keinen Gruß. Die lebhafte alte Dame war nach

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/230>, abgerufen am 26.04.2024.