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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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IV.
flüssig gehalten werden: Weil wir aber irdische
Menschen/ so müssen wir das innerliche mit eus-
serlichen Mitteln vortragen und unsre Gedan-
ken durch vernemliche Worte zu Gehör bringen
oder mit sichtbaren Farben für die Augen mah-
len. Wer wolte nun nicht lieber einen Kunstrich-
tig-gestimmten Seitenklang/ als eine mißge-
stimmte Baurenfidel hören: Wer wolte nicht
lieber mit natürlicher gleichständiger Farbe/ als
mit einer schwartzen Kohlen mahlen: Ja/ wer se-
tzet nicht lieber seinem Freunde das Getrank in
einem schönen Gefäß für/ als in einen alten zer-
brochnen Scherben? Hierher schicket sich was
"dorten Lucretius saget/ daß man den Becher
"mit der Artzney mit Hönig oder Zucker zube-
"streichen und die Pillen zuvergulden pflege/
"dem Kind oder dem Kranken zu seinem Nutzen
zu betrügen. Jch sage zu seinem Nutzen/ in dem
der Geschmack/ aber nicht die Artzney in ihren
wesentlichen Stucken zu ändern/ gut geheissen
wird.

34. Ob nun wol der Jnhalt einer Rede schwer
zuverstehen/* so sol er doch so deutlich/ als nur
immer möglich für getragen werden; sonderlich
aber in der Unterrichtung und Lehrsetzen/ welche
für sich mühesam zubegreiffen/ nicht ungleich

dem
* Ornari res non vult, contenta doceri, Ma-
nilius.

IV.
fluͤſſig gehalten werden: Weil wir aber irdiſche
Menſchen/ ſo muͤſſen wir das innerliche mit euſ-
ſerlichen Mitteln vortragen und unſre Gedan-
ken durch vernemliche Worte zu Gehoͤr bringen
oder mit ſichtbaren Farben fuͤr die Augen mah-
len. Wer wolte nun nicht lieber einen Kunſtrich-
tig-geſtimmten Seitenklang/ als eine mißge-
ſtimmte Baurenfidel hoͤren: Wer wolte nicht
lieber mit natuͤrlicher gleichſtaͤndiger Farbe/ als
mit einer ſchwartzen Kohlen mahlen: Ja/ wer ſe-
tzet nicht lieber ſeinem Freunde das Getrank in
einem ſchoͤnen Gefaͤß fuͤr/ als in einen alten zer-
brochnen Scherben? Hierher ſchicket ſich was
„dorten Lucretius ſaget/ daß man den Becher
„mit der Artzney mit Hoͤnig oder Zucker zube-
„ſtreichen und die Pillen zuvergulden pflege/
„dem Kind oder dem Kranken zu ſeinem Nutzen
zu betruͤgen. Jch ſage zu ſeinem Nutzen/ in dem
der Geſchmack/ aber nicht die Artzney in ihren
weſentlichen Stucken zu aͤndern/ gut geheiſſen
wird.

34. Ob nun wol der Jnhalt einer Rede ſchweꝛ
zuverſtehen/* ſo ſol er doch ſo deutlich/ als nur
immer moͤglich fuͤr getragen werden; ſonderlich
aber in der Unterrichtung und Lehrſetzen/ welche
fuͤr ſich muͤheſam zubegreiffen/ nicht ungleich

dem
* Ornari res non vult, contenta doceri, Ma-
nilius.
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[0[30]/0062] IV. fluͤſſig gehalten werden: Weil wir aber irdiſche Menſchen/ ſo muͤſſen wir das innerliche mit euſ- ſerlichen Mitteln vortragen und unſre Gedan- ken durch vernemliche Worte zu Gehoͤr bringen oder mit ſichtbaren Farben fuͤr die Augen mah- len. Wer wolte nun nicht lieber einen Kunſtrich- tig-geſtimmten Seitenklang/ als eine mißge- ſtimmte Baurenfidel hoͤren: Wer wolte nicht lieber mit natuͤrlicher gleichſtaͤndiger Farbe/ als mit einer ſchwartzen Kohlen mahlen: Ja/ wer ſe- tzet nicht lieber ſeinem Freunde das Getrank in einem ſchoͤnen Gefaͤß fuͤr/ als in einen alten zer- brochnen Scherben? Hierher ſchicket ſich was „dorten Lucretius ſaget/ daß man den Becher „mit der Artzney mit Hoͤnig oder Zucker zube- „ſtreichen und die Pillen zuvergulden pflege/ „dem Kind oder dem Kranken zu ſeinem Nutzen zu betruͤgen. Jch ſage zu ſeinem Nutzen/ in dem der Geſchmack/ aber nicht die Artzney in ihren weſentlichen Stucken zu aͤndern/ gut geheiſſen wird. 34. Ob nun wol der Jnhalt einer Rede ſchweꝛ zuverſtehen/ * ſo ſol er doch ſo deutlich/ als nur immer moͤglich fuͤr getragen werden; ſonderlich aber in der Unterrichtung und Lehrſetzen/ welche fuͤr ſich muͤheſam zubegreiffen/ nicht ungleich dem * Ornari res non vult, contenta doceri, Ma- nilius.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 0[30]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/62>, abgerufen am 26.04.2024.