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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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NeueVücherschau
Dramen

[Beginn Spaltensatz]
Walter Hasenclever, Der Sohn. Drama
in 5 Akten. Paul Cassirer, Berlin.
Walter Hasenclevcr, Die Menschen. Schau¬
spiel in 6 Akten. Berlin 1918 bei Paul
Cassirer. br. 4,60 Mk., geb. 6 Mk.
Walter Hasenclevcr, Der Retter. Drama¬
tische Dichtung. Berlin, Ernst Rowohlt 1919,
geh. 3 Mk.. geb. 4,S0 Mk.
Hans Schreyer, Brandung. Schauspiel in
3 Akten. Berlin, S. Fischer 1917.
Robert Michel, DerheiligsCandidus. Drama
in 4 Wien. Berlin, S. Fischer 1919.
Eduard von der Hellen, Hyacinth. Eine
dramatische Utopie in 4 Auszügen. Stutt¬
gart und Berlin, I. G. Cotta Nachfolger 1913,
geh. 2,K0 Mk., geb. 4 Mk.

Es gibt weite Kreise, die von Hasen¬
clever für die deutsche Dramatik viel er¬
hoffen. Sie berufen sich dafür namentlich
auf den "Sohn", der einen Konflikt behan¬
delt, der es Wohl wert ist, daß man sich
ernsthaft mit ihm beschäftigt. Der rührige
Verlag von Paul Cassirer, von dem das
Aufführungsrecht des 1913 geschriebenen, im
Frühjahr 1914 erschienenen Werkes allein
zu erwerben ist, hat eine Zusammenstellung
der Kritiken und der Aufführungen des
Dramas erscheinen lassen. Aus ihr liest
man, daß das Stück an siebzehn Bühnen
Deutschlands und Österreichs aufgeführt
worden ist und überall Beachtung, stellen¬
weise sogar begeisterte Aufnahme gefunden
hat. Das versteht man, wenn man auch
nicht zu den unbedingt Lobenden gehört
aber immerhin zugibt, daß in dem um¬
strittenen Stück neben Bizarren und zu sehr
Gärendem neuer Stil und neue Richtung
ungewohnte Wege zu gehen versuchen. Sicher
erweckt der junge Dichter Interesse, und man
verschließt sich nicht dem, daß hier ein starkes
Talent hoffnungsreiche Ansätze zeigt. Die
Kritikenzusammenstellung ist für Wertung
des Stückes und des Verfassers zu begrüßen.
Aber die keimende Freundschaft für den
Dichter wird einem sehr schwer gemacht,
wenn man sein Schauspiel "Die Menschen"
in die Hand nimmt. Es ist interessant zu
erfahren, daß Hasenclever ein Filmdrama

[Spaltenumbruch]

angezeigt hatte. Die Vermutung liegt nahe
daß das vorliegende Stück die Negieskizze
dafür sei. Dann wäre wenigstens einiges
verständlich und das zuzugeben, daß einige
der "Szenen von Liebe, Mord, Armut,
Laster, Spiel und Gemeinheit" dramatischen
Blick verraten. Sonst ist die Sprache ge¬
sucht, abgehackt, verworren, unklar. Ein
Schauspiel ist es nicht, die Handlung ist
nicht zu entwirren. Verzweifelt und ver¬
ärgert greift man zum beigelegten "Wasch¬
zettel", um ihn unbefriedigt wieder fortzu¬
legen. Er ist ebenso verzwickt. Richtig ist
daraus, daß die unerhört-kühne Neuheit der
Gestaltung, die für die Bühnen ein un¬
gewöhnliches, aber besonderes Experiment
bedeuten soll, auf den ersten Blick blendet.
Das geschieht sogar so, daß der Blick lange
verdunkelt bleibt, und man nur mit Zagen
zu der dramatischen Dichtung "Der Retter"
greift. Hier kommen diejenigen, die auf
Hasenclever hoffen, eher auf ihre Rechnung.
Das Büchlein hat seine Geschichte. Es ist
im Frühjahr 1915 geschrieben, im Kriege,
in dem es die Zensur verboten hatte, nur
an einen engen Kreis im Herbst 1916 in
Is Exemplaren verschickt und nun, da alle
Schranken, auch die der (übrigens bisweilen
sehr nötigen und wohltätigen) Zensur ge¬
fallen sind, freigegeben worden. Das Stück
spielt im Saal einer Festung zu einer
Zeit, da unsere Heere siegreich weit in
Feindesland standen, und gibt in fünf
Szenen Gespräche zwischen König, Königin.
Staatsminister, Feldmarschall und Dichter.
Die Erscheinung des Apostels Paulus greift
in die Darstellung ebenfalls ein. Der
Retter ist der Dichter. Er fordert, an die
Front gehen zu können mit dem Rufe
"Liebet Eure Feinde I", will Räumung des
besetzten Gebietes und Verlassen der Waffen,
behauptet: "Solange uns die Wollust d-S
Siegers Peitsche, werden wir verloren sein-
Laßt uns den Stolz überwinden nach soviel
Leid." Natürlich wird diese Rettung von
dem Feldmarschall abgelehnt, ihm folgen
mehr oder weniger gezwungen die andern
Kreise; und als Hochverräter verhaftet wird

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Walter Hasenclever, Der Sohn. Drama
in 5 Akten. Paul Cassirer, Berlin.
Walter Hasenclevcr, Die Menschen. Schau¬
spiel in 6 Akten. Berlin 1918 bei Paul
Cassirer. br. 4,60 Mk., geb. 6 Mk.
Walter Hasenclevcr, Der Retter. Drama¬
tische Dichtung. Berlin, Ernst Rowohlt 1919,
geh. 3 Mk.. geb. 4,S0 Mk.
Hans Schreyer, Brandung. Schauspiel in
3 Akten. Berlin, S. Fischer 1917.
Robert Michel, DerheiligsCandidus. Drama
in 4 Wien. Berlin, S. Fischer 1919.
Eduard von der Hellen, Hyacinth. Eine
dramatische Utopie in 4 Auszügen. Stutt¬
gart und Berlin, I. G. Cotta Nachfolger 1913,
geh. 2,K0 Mk., geb. 4 Mk.

Es gibt weite Kreise, die von Hasen¬
clever für die deutsche Dramatik viel er¬
hoffen. Sie berufen sich dafür namentlich
auf den „Sohn", der einen Konflikt behan¬
delt, der es Wohl wert ist, daß man sich
ernsthaft mit ihm beschäftigt. Der rührige
Verlag von Paul Cassirer, von dem das
Aufführungsrecht des 1913 geschriebenen, im
Frühjahr 1914 erschienenen Werkes allein
zu erwerben ist, hat eine Zusammenstellung
der Kritiken und der Aufführungen des
Dramas erscheinen lassen. Aus ihr liest
man, daß das Stück an siebzehn Bühnen
Deutschlands und Österreichs aufgeführt
worden ist und überall Beachtung, stellen¬
weise sogar begeisterte Aufnahme gefunden
hat. Das versteht man, wenn man auch
nicht zu den unbedingt Lobenden gehört
aber immerhin zugibt, daß in dem um¬
strittenen Stück neben Bizarren und zu sehr
Gärendem neuer Stil und neue Richtung
ungewohnte Wege zu gehen versuchen. Sicher
erweckt der junge Dichter Interesse, und man
verschließt sich nicht dem, daß hier ein starkes
Talent hoffnungsreiche Ansätze zeigt. Die
Kritikenzusammenstellung ist für Wertung
des Stückes und des Verfassers zu begrüßen.
Aber die keimende Freundschaft für den
Dichter wird einem sehr schwer gemacht,
wenn man sein Schauspiel „Die Menschen"
in die Hand nimmt. Es ist interessant zu
erfahren, daß Hasenclever ein Filmdrama

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angezeigt hatte. Die Vermutung liegt nahe
daß das vorliegende Stück die Negieskizze
dafür sei. Dann wäre wenigstens einiges
verständlich und das zuzugeben, daß einige
der „Szenen von Liebe, Mord, Armut,
Laster, Spiel und Gemeinheit" dramatischen
Blick verraten. Sonst ist die Sprache ge¬
sucht, abgehackt, verworren, unklar. Ein
Schauspiel ist es nicht, die Handlung ist
nicht zu entwirren. Verzweifelt und ver¬
ärgert greift man zum beigelegten „Wasch¬
zettel", um ihn unbefriedigt wieder fortzu¬
legen. Er ist ebenso verzwickt. Richtig ist
daraus, daß die unerhört-kühne Neuheit der
Gestaltung, die für die Bühnen ein un¬
gewöhnliches, aber besonderes Experiment
bedeuten soll, auf den ersten Blick blendet.
Das geschieht sogar so, daß der Blick lange
verdunkelt bleibt, und man nur mit Zagen
zu der dramatischen Dichtung „Der Retter"
greift. Hier kommen diejenigen, die auf
Hasenclever hoffen, eher auf ihre Rechnung.
Das Büchlein hat seine Geschichte. Es ist
im Frühjahr 1915 geschrieben, im Kriege,
in dem es die Zensur verboten hatte, nur
an einen engen Kreis im Herbst 1916 in
Is Exemplaren verschickt und nun, da alle
Schranken, auch die der (übrigens bisweilen
sehr nötigen und wohltätigen) Zensur ge¬
fallen sind, freigegeben worden. Das Stück
spielt im Saal einer Festung zu einer
Zeit, da unsere Heere siegreich weit in
Feindesland standen, und gibt in fünf
Szenen Gespräche zwischen König, Königin.
Staatsminister, Feldmarschall und Dichter.
Die Erscheinung des Apostels Paulus greift
in die Darstellung ebenfalls ein. Der
Retter ist der Dichter. Er fordert, an die
Front gehen zu können mit dem Rufe
„Liebet Eure Feinde I", will Räumung des
besetzten Gebietes und Verlassen der Waffen,
behauptet: „Solange uns die Wollust d-S
Siegers Peitsche, werden wir verloren sein-
Laßt uns den Stolz überwinden nach soviel
Leid." Natürlich wird diese Rettung von
dem Feldmarschall abgelehnt, ihm folgen
mehr oder weniger gezwungen die andern
Kreise; und als Hochverräter verhaftet wird

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[0034] Bücherschau NeueVücherschau Dramen Walter Hasenclever, Der Sohn. Drama in 5 Akten. Paul Cassirer, Berlin. Walter Hasenclevcr, Die Menschen. Schau¬ spiel in 6 Akten. Berlin 1918 bei Paul Cassirer. br. 4,60 Mk., geb. 6 Mk. Walter Hasenclevcr, Der Retter. Drama¬ tische Dichtung. Berlin, Ernst Rowohlt 1919, geh. 3 Mk.. geb. 4,S0 Mk. Hans Schreyer, Brandung. Schauspiel in 3 Akten. Berlin, S. Fischer 1917. Robert Michel, DerheiligsCandidus. Drama in 4 Wien. Berlin, S. Fischer 1919. Eduard von der Hellen, Hyacinth. Eine dramatische Utopie in 4 Auszügen. Stutt¬ gart und Berlin, I. G. Cotta Nachfolger 1913, geh. 2,K0 Mk., geb. 4 Mk. Es gibt weite Kreise, die von Hasen¬ clever für die deutsche Dramatik viel er¬ hoffen. Sie berufen sich dafür namentlich auf den „Sohn", der einen Konflikt behan¬ delt, der es Wohl wert ist, daß man sich ernsthaft mit ihm beschäftigt. Der rührige Verlag von Paul Cassirer, von dem das Aufführungsrecht des 1913 geschriebenen, im Frühjahr 1914 erschienenen Werkes allein zu erwerben ist, hat eine Zusammenstellung der Kritiken und der Aufführungen des Dramas erscheinen lassen. Aus ihr liest man, daß das Stück an siebzehn Bühnen Deutschlands und Österreichs aufgeführt worden ist und überall Beachtung, stellen¬ weise sogar begeisterte Aufnahme gefunden hat. Das versteht man, wenn man auch nicht zu den unbedingt Lobenden gehört aber immerhin zugibt, daß in dem um¬ strittenen Stück neben Bizarren und zu sehr Gärendem neuer Stil und neue Richtung ungewohnte Wege zu gehen versuchen. Sicher erweckt der junge Dichter Interesse, und man verschließt sich nicht dem, daß hier ein starkes Talent hoffnungsreiche Ansätze zeigt. Die Kritikenzusammenstellung ist für Wertung des Stückes und des Verfassers zu begrüßen. Aber die keimende Freundschaft für den Dichter wird einem sehr schwer gemacht, wenn man sein Schauspiel „Die Menschen" in die Hand nimmt. Es ist interessant zu erfahren, daß Hasenclever ein Filmdrama angezeigt hatte. Die Vermutung liegt nahe daß das vorliegende Stück die Negieskizze dafür sei. Dann wäre wenigstens einiges verständlich und das zuzugeben, daß einige der „Szenen von Liebe, Mord, Armut, Laster, Spiel und Gemeinheit" dramatischen Blick verraten. Sonst ist die Sprache ge¬ sucht, abgehackt, verworren, unklar. Ein Schauspiel ist es nicht, die Handlung ist nicht zu entwirren. Verzweifelt und ver¬ ärgert greift man zum beigelegten „Wasch¬ zettel", um ihn unbefriedigt wieder fortzu¬ legen. Er ist ebenso verzwickt. Richtig ist daraus, daß die unerhört-kühne Neuheit der Gestaltung, die für die Bühnen ein un¬ gewöhnliches, aber besonderes Experiment bedeuten soll, auf den ersten Blick blendet. Das geschieht sogar so, daß der Blick lange verdunkelt bleibt, und man nur mit Zagen zu der dramatischen Dichtung „Der Retter" greift. Hier kommen diejenigen, die auf Hasenclever hoffen, eher auf ihre Rechnung. Das Büchlein hat seine Geschichte. Es ist im Frühjahr 1915 geschrieben, im Kriege, in dem es die Zensur verboten hatte, nur an einen engen Kreis im Herbst 1916 in Is Exemplaren verschickt und nun, da alle Schranken, auch die der (übrigens bisweilen sehr nötigen und wohltätigen) Zensur ge¬ fallen sind, freigegeben worden. Das Stück spielt im Saal einer Festung zu einer Zeit, da unsere Heere siegreich weit in Feindesland standen, und gibt in fünf Szenen Gespräche zwischen König, Königin. Staatsminister, Feldmarschall und Dichter. Die Erscheinung des Apostels Paulus greift in die Darstellung ebenfalls ein. Der Retter ist der Dichter. Er fordert, an die Front gehen zu können mit dem Rufe „Liebet Eure Feinde I", will Räumung des besetzten Gebietes und Verlassen der Waffen, behauptet: „Solange uns die Wollust d-S Siegers Peitsche, werden wir verloren sein- Laßt uns den Stolz überwinden nach soviel Leid." Natürlich wird diese Rettung von dem Feldmarschall abgelehnt, ihm folgen mehr oder weniger gezwungen die andern Kreise; und als Hochverräter verhaftet wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/34>, abgerufen am 28.06.2024.