Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
lveltspicgel

Das eindrucksvollste Moment seiner geistigen Entwicklung ist wohl dies,
daß er sich in frühester Jugend mit vollem Verständnis und kräftigstem Willen,
zu erkennen und sich zu Mitarbeit und Neubau zu rüsten, dem Wesen des Staates
zuwandte. Man entnehme die nähere Charakterisierlheit dieser seiner Werbung,
die Notizen über die Studien, die er in der Richtung auf dies Ziel hin unter-
nahm, dem Buche selber. Auch dies andere kann hier nur gestreift werden: daß
er im gleichen, unbegreiflich frühen Alter die Erfüllung seiner Jdealbildungen,
darum den tauglichsten Nährboden seines eigenen Wachstums im klassischen
Griechentum wiederfand. Aus beiden Motiven her keimte daS Ideal einer neuen
Humanität, die er selbst in edler, klarer Jugendlichkeit bereits verwirklicht hat.

Man wird sich noch der Befrachtung dieser Dinge nicht mehr imstande
fühlen, den Verlust Otto Brauns zu betrauern. Wollte man zu trauern be¬
ginnen, so würde die Trauer so grenzenlos sein wie es der Verlust ist. Wir
wenden uns vielmehr mit dankbarer Freude dem hier in vollkommener Schönheit
und Vorbildlichkeit vollendeten Schicksal zu. "Wüßten wir doch kaum zu klagen,
reibend singen wir dein Los." Wir grüßen ihn zum Abschied mit den Worten
Georges:

Du Geist der heiligen Jugend unseres Volks.




Weltspiegel

Sibirien. "Aus Washington wird gemeldet, daß Großbritannien, Amerika
und Japan infolge des Vordringens der Bolschewisten in Sibirien ein Überein¬
kommen geschlossen haben, demzufolge Japan die Kontrolle über Sibirien über¬
tragen werden soll. Japan soll so viel Truppen nach Sibirien senden, daß dem
Vordringen der Bolschewisten Widerstand geleistet werden kann. . . Die Japaner
sollen sich auf jeden Fall nicht östlich des Baikalsees begeben. Die amerikanischen
Truppen würden gleichzeitig aus Ostasien zurückgezogen." Gewaltige Entscheidungen
drängen sich in diesen wenigen Sätzen zusammen. Bestürzt über die Mißerfolge
Koltschaks (und Denikins) gibt die Entente den direkten Kampf gegen die Bolsche¬
wisten (einstweilen) auf. Ein großer Teil des seinerzeit vor drohender Nutzbar¬
machung durch die siegreichen Deutschen so ängstlich überwachten Sibiriens wird
kampflos den Gelben überlassen. England, ohne Zweifel erschreckt über die schon
seit dem Sommer durch die FronÜücke zwischen Koltschak und dem Uralkorps
des Generals Dutoff nach Mittelasien mächtig fortschreitende Agitation der Bolsche¬
wisten, deren Spuren nicht nur in Turkestan, sondern auch in Afghanistan, mit
dem England im Frühjahr einen übereilten und wie es scheint nicht sehr vorteil-
haften Frieden abgeschlossen hat, vielleicht sogar schon in Indien bemerkbar sind,
zieht sich von der Szene zurück, um sich dringlicheren Aufgaben, der Sicherung
Indiens, Mesopotamiens. Ägyptens zuwenden zu können. Soll doch dem
"Nieuwe Notterdamsche Courant" zufolge Lenin selbst erklärt haben, der Schwer¬
punkt seiner Tätigkeit liege augenblicklich in Asien. Und die Engländer wissen,
daß das keine leere Drohung zu sein braucht.

Der Rückzug Amerikas kommt nicht eigentlich überraschend. Wirkliche
Vorteile sind in Sibirien nur unter Aufwendung sehr bedeutender Mittel zu
holen, die Amerika, betroffen über die Folgen des Krieges im eigenen Lande


lveltspicgel

Das eindrucksvollste Moment seiner geistigen Entwicklung ist wohl dies,
daß er sich in frühester Jugend mit vollem Verständnis und kräftigstem Willen,
zu erkennen und sich zu Mitarbeit und Neubau zu rüsten, dem Wesen des Staates
zuwandte. Man entnehme die nähere Charakterisierlheit dieser seiner Werbung,
die Notizen über die Studien, die er in der Richtung auf dies Ziel hin unter-
nahm, dem Buche selber. Auch dies andere kann hier nur gestreift werden: daß
er im gleichen, unbegreiflich frühen Alter die Erfüllung seiner Jdealbildungen,
darum den tauglichsten Nährboden seines eigenen Wachstums im klassischen
Griechentum wiederfand. Aus beiden Motiven her keimte daS Ideal einer neuen
Humanität, die er selbst in edler, klarer Jugendlichkeit bereits verwirklicht hat.

Man wird sich noch der Befrachtung dieser Dinge nicht mehr imstande
fühlen, den Verlust Otto Brauns zu betrauern. Wollte man zu trauern be¬
ginnen, so würde die Trauer so grenzenlos sein wie es der Verlust ist. Wir
wenden uns vielmehr mit dankbarer Freude dem hier in vollkommener Schönheit
und Vorbildlichkeit vollendeten Schicksal zu. „Wüßten wir doch kaum zu klagen,
reibend singen wir dein Los." Wir grüßen ihn zum Abschied mit den Worten
Georges:

Du Geist der heiligen Jugend unseres Volks.




Weltspiegel

Sibirien. „Aus Washington wird gemeldet, daß Großbritannien, Amerika
und Japan infolge des Vordringens der Bolschewisten in Sibirien ein Überein¬
kommen geschlossen haben, demzufolge Japan die Kontrolle über Sibirien über¬
tragen werden soll. Japan soll so viel Truppen nach Sibirien senden, daß dem
Vordringen der Bolschewisten Widerstand geleistet werden kann. . . Die Japaner
sollen sich auf jeden Fall nicht östlich des Baikalsees begeben. Die amerikanischen
Truppen würden gleichzeitig aus Ostasien zurückgezogen." Gewaltige Entscheidungen
drängen sich in diesen wenigen Sätzen zusammen. Bestürzt über die Mißerfolge
Koltschaks (und Denikins) gibt die Entente den direkten Kampf gegen die Bolsche¬
wisten (einstweilen) auf. Ein großer Teil des seinerzeit vor drohender Nutzbar¬
machung durch die siegreichen Deutschen so ängstlich überwachten Sibiriens wird
kampflos den Gelben überlassen. England, ohne Zweifel erschreckt über die schon
seit dem Sommer durch die FronÜücke zwischen Koltschak und dem Uralkorps
des Generals Dutoff nach Mittelasien mächtig fortschreitende Agitation der Bolsche¬
wisten, deren Spuren nicht nur in Turkestan, sondern auch in Afghanistan, mit
dem England im Frühjahr einen übereilten und wie es scheint nicht sehr vorteil-
haften Frieden abgeschlossen hat, vielleicht sogar schon in Indien bemerkbar sind,
zieht sich von der Szene zurück, um sich dringlicheren Aufgaben, der Sicherung
Indiens, Mesopotamiens. Ägyptens zuwenden zu können. Soll doch dem
„Nieuwe Notterdamsche Courant" zufolge Lenin selbst erklärt haben, der Schwer¬
punkt seiner Tätigkeit liege augenblicklich in Asien. Und die Engländer wissen,
daß das keine leere Drohung zu sein braucht.

Der Rückzug Amerikas kommt nicht eigentlich überraschend. Wirkliche
Vorteile sind in Sibirien nur unter Aufwendung sehr bedeutender Mittel zu
holen, die Amerika, betroffen über die Folgen des Krieges im eigenen Lande


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336946"/>
          <fw type="header" place="top"> lveltspicgel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_295"> Das eindrucksvollste Moment seiner geistigen Entwicklung ist wohl dies,<lb/>
daß er sich in frühester Jugend mit vollem Verständnis und kräftigstem Willen,<lb/>
zu erkennen und sich zu Mitarbeit und Neubau zu rüsten, dem Wesen des Staates<lb/>
zuwandte. Man entnehme die nähere Charakterisierlheit dieser seiner Werbung,<lb/>
die Notizen über die Studien, die er in der Richtung auf dies Ziel hin unter-<lb/>
nahm, dem Buche selber. Auch dies andere kann hier nur gestreift werden: daß<lb/>
er im gleichen, unbegreiflich frühen Alter die Erfüllung seiner Jdealbildungen,<lb/>
darum den tauglichsten Nährboden seines eigenen Wachstums im klassischen<lb/>
Griechentum wiederfand. Aus beiden Motiven her keimte daS Ideal einer neuen<lb/>
Humanität, die er selbst in edler, klarer Jugendlichkeit bereits verwirklicht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_296"> Man wird sich noch der Befrachtung dieser Dinge nicht mehr imstande<lb/>
fühlen, den Verlust Otto Brauns zu betrauern. Wollte man zu trauern be¬<lb/>
ginnen, so würde die Trauer so grenzenlos sein wie es der Verlust ist. Wir<lb/>
wenden uns vielmehr mit dankbarer Freude dem hier in vollkommener Schönheit<lb/>
und Vorbildlichkeit vollendeten Schicksal zu. &#x201E;Wüßten wir doch kaum zu klagen,<lb/>
reibend singen wir dein Los." Wir grüßen ihn zum Abschied mit den Worten<lb/>
Georges:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_297"> Du Geist der heiligen Jugend unseres Volks.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Weltspiegel</head><lb/>
          <p xml:id="ID_298"> Sibirien. &#x201E;Aus Washington wird gemeldet, daß Großbritannien, Amerika<lb/>
und Japan infolge des Vordringens der Bolschewisten in Sibirien ein Überein¬<lb/>
kommen geschlossen haben, demzufolge Japan die Kontrolle über Sibirien über¬<lb/>
tragen werden soll. Japan soll so viel Truppen nach Sibirien senden, daß dem<lb/>
Vordringen der Bolschewisten Widerstand geleistet werden kann. . . Die Japaner<lb/>
sollen sich auf jeden Fall nicht östlich des Baikalsees begeben. Die amerikanischen<lb/>
Truppen würden gleichzeitig aus Ostasien zurückgezogen." Gewaltige Entscheidungen<lb/>
drängen sich in diesen wenigen Sätzen zusammen. Bestürzt über die Mißerfolge<lb/>
Koltschaks (und Denikins) gibt die Entente den direkten Kampf gegen die Bolsche¬<lb/>
wisten (einstweilen) auf. Ein großer Teil des seinerzeit vor drohender Nutzbar¬<lb/>
machung durch die siegreichen Deutschen so ängstlich überwachten Sibiriens wird<lb/>
kampflos den Gelben überlassen. England, ohne Zweifel erschreckt über die schon<lb/>
seit dem Sommer durch die FronÜücke zwischen Koltschak und dem Uralkorps<lb/>
des Generals Dutoff nach Mittelasien mächtig fortschreitende Agitation der Bolsche¬<lb/>
wisten, deren Spuren nicht nur in Turkestan, sondern auch in Afghanistan, mit<lb/>
dem England im Frühjahr einen übereilten und wie es scheint nicht sehr vorteil-<lb/>
haften Frieden abgeschlossen hat, vielleicht sogar schon in Indien bemerkbar sind,<lb/>
zieht sich von der Szene zurück, um sich dringlicheren Aufgaben, der Sicherung<lb/>
Indiens, Mesopotamiens. Ägyptens zuwenden zu können. Soll doch dem<lb/>
&#x201E;Nieuwe Notterdamsche Courant" zufolge Lenin selbst erklärt haben, der Schwer¬<lb/>
punkt seiner Tätigkeit liege augenblicklich in Asien. Und die Engländer wissen,<lb/>
daß das keine leere Drohung zu sein braucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> Der Rückzug Amerikas kommt nicht eigentlich überraschend. Wirkliche<lb/>
Vorteile sind in Sibirien nur unter Aufwendung sehr bedeutender Mittel zu<lb/>
holen, die Amerika, betroffen über die Folgen des Krieges im eigenen Lande</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] lveltspicgel Das eindrucksvollste Moment seiner geistigen Entwicklung ist wohl dies, daß er sich in frühester Jugend mit vollem Verständnis und kräftigstem Willen, zu erkennen und sich zu Mitarbeit und Neubau zu rüsten, dem Wesen des Staates zuwandte. Man entnehme die nähere Charakterisierlheit dieser seiner Werbung, die Notizen über die Studien, die er in der Richtung auf dies Ziel hin unter- nahm, dem Buche selber. Auch dies andere kann hier nur gestreift werden: daß er im gleichen, unbegreiflich frühen Alter die Erfüllung seiner Jdealbildungen, darum den tauglichsten Nährboden seines eigenen Wachstums im klassischen Griechentum wiederfand. Aus beiden Motiven her keimte daS Ideal einer neuen Humanität, die er selbst in edler, klarer Jugendlichkeit bereits verwirklicht hat. Man wird sich noch der Befrachtung dieser Dinge nicht mehr imstande fühlen, den Verlust Otto Brauns zu betrauern. Wollte man zu trauern be¬ ginnen, so würde die Trauer so grenzenlos sein wie es der Verlust ist. Wir wenden uns vielmehr mit dankbarer Freude dem hier in vollkommener Schönheit und Vorbildlichkeit vollendeten Schicksal zu. „Wüßten wir doch kaum zu klagen, reibend singen wir dein Los." Wir grüßen ihn zum Abschied mit den Worten Georges: Du Geist der heiligen Jugend unseres Volks. Weltspiegel Sibirien. „Aus Washington wird gemeldet, daß Großbritannien, Amerika und Japan infolge des Vordringens der Bolschewisten in Sibirien ein Überein¬ kommen geschlossen haben, demzufolge Japan die Kontrolle über Sibirien über¬ tragen werden soll. Japan soll so viel Truppen nach Sibirien senden, daß dem Vordringen der Bolschewisten Widerstand geleistet werden kann. . . Die Japaner sollen sich auf jeden Fall nicht östlich des Baikalsees begeben. Die amerikanischen Truppen würden gleichzeitig aus Ostasien zurückgezogen." Gewaltige Entscheidungen drängen sich in diesen wenigen Sätzen zusammen. Bestürzt über die Mißerfolge Koltschaks (und Denikins) gibt die Entente den direkten Kampf gegen die Bolsche¬ wisten (einstweilen) auf. Ein großer Teil des seinerzeit vor drohender Nutzbar¬ machung durch die siegreichen Deutschen so ängstlich überwachten Sibiriens wird kampflos den Gelben überlassen. England, ohne Zweifel erschreckt über die schon seit dem Sommer durch die FronÜücke zwischen Koltschak und dem Uralkorps des Generals Dutoff nach Mittelasien mächtig fortschreitende Agitation der Bolsche¬ wisten, deren Spuren nicht nur in Turkestan, sondern auch in Afghanistan, mit dem England im Frühjahr einen übereilten und wie es scheint nicht sehr vorteil- haften Frieden abgeschlossen hat, vielleicht sogar schon in Indien bemerkbar sind, zieht sich von der Szene zurück, um sich dringlicheren Aufgaben, der Sicherung Indiens, Mesopotamiens. Ägyptens zuwenden zu können. Soll doch dem „Nieuwe Notterdamsche Courant" zufolge Lenin selbst erklärt haben, der Schwer¬ punkt seiner Tätigkeit liege augenblicklich in Asien. Und die Engländer wissen, daß das keine leere Drohung zu sein braucht. Der Rückzug Amerikas kommt nicht eigentlich überraschend. Wirkliche Vorteile sind in Sibirien nur unter Aufwendung sehr bedeutender Mittel zu holen, die Amerika, betroffen über die Folgen des Krieges im eigenen Lande

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/101>, abgerufen am 01.09.2024.