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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land
"Lr hat es schier vergessen, was Wir einander sein!" G. Hoffmann von

^!
^'H//
^<>/inmer wieder ist aus den Äußerungen der Tagespresse ersichtlich,
daß die Stadtbevölkerung über das Verhalten der Landwirtschaft
zum Volksganzen in dieser schweren Zeit ganz falsch unterrichtet
^ ist. Durch die langjährige bedenkenlose parteipolitische Zänkerei
^ ist die Kluft zwischen Stadt und Land so groß geworden, daß
kaum noch eine Verständigung möglich erscheint. War das in Friedenszeiten
schon beklagenswert, so ist es das in des Vaterlandes Schicksalsstunde doppelt.
Ja, ich bin der Meinung, daß das Mißtrauen zwischen dem Urberufsstand und
allen anderen Ständen und die daraus folgende falsche Einschätzung der Leistungs¬
willigkeit und Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft sich zum Hauptgefahrpunkt
unserer Lage gestaltet. Das Ertragenwollen und damit das Ertragenkönnen
der gesamten Stadtbevölkerung, aber auch die richtige Bemessung diplomatisch-
politischer Möglichkeiten hängt davon ab. Es ist zwar unmöglich, in einem
kurzen Aufsatz alle diese Gedanken und Fragen erschöpfend zu behandeln, aber
es ist schon viel gewonnen, wenn eine Anzahl der uns Landleuten so fremd
Gewordenen aus gebildeten Kreisen der Wahrheit eine Gasse bahnen hilft. Meist
fehlt aber dazu jede Grundlage wegen der völligen Unkenntnis unserer Lebens¬
kreise und unserer Bestrebungen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint mein
Unterfangen ja aussichtslos; aber vor uns allen steht des Vaterlandes Not. --
So muß ich's wagen.

Man macht allgemein der Landwirtschaft den Vorwurf der Zurückhaltung
ihrer Erzeugnisse und glaubt mit einer rückhaltlosen Abgabe eine durchgreifende
Linderung der städtischen Not zu erreichen. Man glaubt den angeblichen
Mangel an Opferwilligkeit besonders dadurch gebührend zu beleuchten und die
gestellte Forderung ganz unwrderleglich zu begründen, indem man sie aus der
unbestreitbaren Tatsache ableitet, daß bei einem feindlichen Einbruch gerade
der Bauer durch die Verwüstung seines Besitzes auf viele Jahre hinaus weit
vernichtender getroffen würde als irgendein anderer Stand. Diese Schlu߬
folgerung ist ganz falsch, weil oberflächlich. Sicherlich ist der Landmann zur
Hergabe seiner Erzeugnisse verpflichtet; geht er aber darin so weit, daß dadurch
der ordentliche Fortgang seiner Wirtschaft gefährdet wird, so ist das zwar




Stadt und Land
„Lr hat es schier vergessen, was Wir einander sein!" G. Hoffmann von

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^<>/inmer wieder ist aus den Äußerungen der Tagespresse ersichtlich,
daß die Stadtbevölkerung über das Verhalten der Landwirtschaft
zum Volksganzen in dieser schweren Zeit ganz falsch unterrichtet
^ ist. Durch die langjährige bedenkenlose parteipolitische Zänkerei
^ ist die Kluft zwischen Stadt und Land so groß geworden, daß
kaum noch eine Verständigung möglich erscheint. War das in Friedenszeiten
schon beklagenswert, so ist es das in des Vaterlandes Schicksalsstunde doppelt.
Ja, ich bin der Meinung, daß das Mißtrauen zwischen dem Urberufsstand und
allen anderen Ständen und die daraus folgende falsche Einschätzung der Leistungs¬
willigkeit und Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft sich zum Hauptgefahrpunkt
unserer Lage gestaltet. Das Ertragenwollen und damit das Ertragenkönnen
der gesamten Stadtbevölkerung, aber auch die richtige Bemessung diplomatisch-
politischer Möglichkeiten hängt davon ab. Es ist zwar unmöglich, in einem
kurzen Aufsatz alle diese Gedanken und Fragen erschöpfend zu behandeln, aber
es ist schon viel gewonnen, wenn eine Anzahl der uns Landleuten so fremd
Gewordenen aus gebildeten Kreisen der Wahrheit eine Gasse bahnen hilft. Meist
fehlt aber dazu jede Grundlage wegen der völligen Unkenntnis unserer Lebens¬
kreise und unserer Bestrebungen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint mein
Unterfangen ja aussichtslos; aber vor uns allen steht des Vaterlandes Not. —
So muß ich's wagen.

Man macht allgemein der Landwirtschaft den Vorwurf der Zurückhaltung
ihrer Erzeugnisse und glaubt mit einer rückhaltlosen Abgabe eine durchgreifende
Linderung der städtischen Not zu erreichen. Man glaubt den angeblichen
Mangel an Opferwilligkeit besonders dadurch gebührend zu beleuchten und die
gestellte Forderung ganz unwrderleglich zu begründen, indem man sie aus der
unbestreitbaren Tatsache ableitet, daß bei einem feindlichen Einbruch gerade
der Bauer durch die Verwüstung seines Besitzes auf viele Jahre hinaus weit
vernichtender getroffen würde als irgendein anderer Stand. Diese Schlu߬
folgerung ist ganz falsch, weil oberflächlich. Sicherlich ist der Landmann zur
Hergabe seiner Erzeugnisse verpflichtet; geht er aber darin so weit, daß dadurch
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[0083] Stadt und Land „Lr hat es schier vergessen, was Wir einander sein!" G. Hoffmann von ^! ^'H// ^<>/inmer wieder ist aus den Äußerungen der Tagespresse ersichtlich, daß die Stadtbevölkerung über das Verhalten der Landwirtschaft zum Volksganzen in dieser schweren Zeit ganz falsch unterrichtet ^ ist. Durch die langjährige bedenkenlose parteipolitische Zänkerei ^ ist die Kluft zwischen Stadt und Land so groß geworden, daß kaum noch eine Verständigung möglich erscheint. War das in Friedenszeiten schon beklagenswert, so ist es das in des Vaterlandes Schicksalsstunde doppelt. Ja, ich bin der Meinung, daß das Mißtrauen zwischen dem Urberufsstand und allen anderen Ständen und die daraus folgende falsche Einschätzung der Leistungs¬ willigkeit und Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft sich zum Hauptgefahrpunkt unserer Lage gestaltet. Das Ertragenwollen und damit das Ertragenkönnen der gesamten Stadtbevölkerung, aber auch die richtige Bemessung diplomatisch- politischer Möglichkeiten hängt davon ab. Es ist zwar unmöglich, in einem kurzen Aufsatz alle diese Gedanken und Fragen erschöpfend zu behandeln, aber es ist schon viel gewonnen, wenn eine Anzahl der uns Landleuten so fremd Gewordenen aus gebildeten Kreisen der Wahrheit eine Gasse bahnen hilft. Meist fehlt aber dazu jede Grundlage wegen der völligen Unkenntnis unserer Lebens¬ kreise und unserer Bestrebungen. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint mein Unterfangen ja aussichtslos; aber vor uns allen steht des Vaterlandes Not. — So muß ich's wagen. Man macht allgemein der Landwirtschaft den Vorwurf der Zurückhaltung ihrer Erzeugnisse und glaubt mit einer rückhaltlosen Abgabe eine durchgreifende Linderung der städtischen Not zu erreichen. Man glaubt den angeblichen Mangel an Opferwilligkeit besonders dadurch gebührend zu beleuchten und die gestellte Forderung ganz unwrderleglich zu begründen, indem man sie aus der unbestreitbaren Tatsache ableitet, daß bei einem feindlichen Einbruch gerade der Bauer durch die Verwüstung seines Besitzes auf viele Jahre hinaus weit vernichtender getroffen würde als irgendein anderer Stand. Diese Schlu߬ folgerung ist ganz falsch, weil oberflächlich. Sicherlich ist der Landmann zur Hergabe seiner Erzeugnisse verpflichtet; geht er aber darin so weit, daß dadurch der ordentliche Fortgang seiner Wirtschaft gefährdet wird, so ist das zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/83>, abgerufen am 22.07.2024.