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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Dereinst

Ausländer wurde bei uns sogar die Absicht laut, mit Staatsmitteln eine klerikale
Schule zu gründen. Wenn man aber ihre Mißerfolge in der Vergangenheit
kennt, hält es schwer, dieser Schule irgend einen Erfolg in der Zukunft voraus¬
zusagen. Allzuviel hat die russische Gesellschaft und das russische Volk erlebt,
als daß sich die Früchte davon einfach beseitigen ließen. Es ist durchaus
richtig, daß das russische Leben, entgegen der allgemein angenommenen Meinung,
in seiner Vergangenheit von den Elementen des Glaubens nicht viel, sondern
wenig durchdrungen war. Das Vergangene dreht man aber nicht zurück, und
wenn man dies Versäumnis jetzt, dreihundert Jahre nachdem der passende Augen¬
blick außeracht gelassen wurde, nachholen will, so würde man den Fehler
Tschaadajeffs*) wiederholen, ohne seine Begründungen zu haben. Tschaadajeff
riet bekanntlich, auf Rußland das Mittel anzuwenden, das sich in Europa so
fruchtbar erwiesen hatte -- den Kultureinfluß des Katholizismus. Man rät
uns jetzt im Gegenteil, ein Mittel zu erproben, das sich in Nußland bereits
machtlos erwiesen hat. Dem Historiker bleibt demgegenüber nichts übrig, als
sich damit zu trösten, daß es ebenso unmöglich ist, Europa auf Rußland zu
verpflanzen, als die russische Vergangenheit zur Gegenwart zu machen.




Und so wird'S sein, wenn wir uns wiedersehn:
Ein stilles Grüßen und ein stummes Fragen.
Ein scheues Wesen-Jneinandertragen,
Ein Suchen -- und ein Auseinandergehn.
Zu schwere Bürde gab uns dieser Krieg
An kühnem Können und an heißem Wollen --
Wenn Friedensbanner sie daheim entrollen,
Folgt flacher Alltag unsrem goldnen Sieg . . .
Zwei Wege laufen auseinander, weit.
So mancher Traum von Glück bleibt ungeträumt --
Ein Strom, die Ufer blumeneingesäumt,
Du dort, ich hier -- in Sternen einsam keit.
Reinhard tveer


*) Ein mystischer russischer Denker aus der Zeit Nikolaus I.
Dereinst

Ausländer wurde bei uns sogar die Absicht laut, mit Staatsmitteln eine klerikale
Schule zu gründen. Wenn man aber ihre Mißerfolge in der Vergangenheit
kennt, hält es schwer, dieser Schule irgend einen Erfolg in der Zukunft voraus¬
zusagen. Allzuviel hat die russische Gesellschaft und das russische Volk erlebt,
als daß sich die Früchte davon einfach beseitigen ließen. Es ist durchaus
richtig, daß das russische Leben, entgegen der allgemein angenommenen Meinung,
in seiner Vergangenheit von den Elementen des Glaubens nicht viel, sondern
wenig durchdrungen war. Das Vergangene dreht man aber nicht zurück, und
wenn man dies Versäumnis jetzt, dreihundert Jahre nachdem der passende Augen¬
blick außeracht gelassen wurde, nachholen will, so würde man den Fehler
Tschaadajeffs*) wiederholen, ohne seine Begründungen zu haben. Tschaadajeff
riet bekanntlich, auf Rußland das Mittel anzuwenden, das sich in Europa so
fruchtbar erwiesen hatte — den Kultureinfluß des Katholizismus. Man rät
uns jetzt im Gegenteil, ein Mittel zu erproben, das sich in Nußland bereits
machtlos erwiesen hat. Dem Historiker bleibt demgegenüber nichts übrig, als
sich damit zu trösten, daß es ebenso unmöglich ist, Europa auf Rußland zu
verpflanzen, als die russische Vergangenheit zur Gegenwart zu machen.




Und so wird'S sein, wenn wir uns wiedersehn:
Ein stilles Grüßen und ein stummes Fragen.
Ein scheues Wesen-Jneinandertragen,
Ein Suchen — und ein Auseinandergehn.
Zu schwere Bürde gab uns dieser Krieg
An kühnem Können und an heißem Wollen —
Wenn Friedensbanner sie daheim entrollen,
Folgt flacher Alltag unsrem goldnen Sieg . . .
Zwei Wege laufen auseinander, weit.
So mancher Traum von Glück bleibt ungeträumt —
Ein Strom, die Ufer blumeneingesäumt,
Du dort, ich hier — in Sternen einsam keit.
Reinhard tveer


*) Ein mystischer russischer Denker aus der Zeit Nikolaus I.
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[0380] Dereinst Ausländer wurde bei uns sogar die Absicht laut, mit Staatsmitteln eine klerikale Schule zu gründen. Wenn man aber ihre Mißerfolge in der Vergangenheit kennt, hält es schwer, dieser Schule irgend einen Erfolg in der Zukunft voraus¬ zusagen. Allzuviel hat die russische Gesellschaft und das russische Volk erlebt, als daß sich die Früchte davon einfach beseitigen ließen. Es ist durchaus richtig, daß das russische Leben, entgegen der allgemein angenommenen Meinung, in seiner Vergangenheit von den Elementen des Glaubens nicht viel, sondern wenig durchdrungen war. Das Vergangene dreht man aber nicht zurück, und wenn man dies Versäumnis jetzt, dreihundert Jahre nachdem der passende Augen¬ blick außeracht gelassen wurde, nachholen will, so würde man den Fehler Tschaadajeffs*) wiederholen, ohne seine Begründungen zu haben. Tschaadajeff riet bekanntlich, auf Rußland das Mittel anzuwenden, das sich in Europa so fruchtbar erwiesen hatte — den Kultureinfluß des Katholizismus. Man rät uns jetzt im Gegenteil, ein Mittel zu erproben, das sich in Nußland bereits machtlos erwiesen hat. Dem Historiker bleibt demgegenüber nichts übrig, als sich damit zu trösten, daß es ebenso unmöglich ist, Europa auf Rußland zu verpflanzen, als die russische Vergangenheit zur Gegenwart zu machen. Und so wird'S sein, wenn wir uns wiedersehn: Ein stilles Grüßen und ein stummes Fragen. Ein scheues Wesen-Jneinandertragen, Ein Suchen — und ein Auseinandergehn. Zu schwere Bürde gab uns dieser Krieg An kühnem Können und an heißem Wollen — Wenn Friedensbanner sie daheim entrollen, Folgt flacher Alltag unsrem goldnen Sieg . . . Zwei Wege laufen auseinander, weit. So mancher Traum von Glück bleibt ungeträumt — Ein Strom, die Ufer blumeneingesäumt, Du dort, ich hier — in Sternen einsam keit. Reinhard tveer *) Ein mystischer russischer Denker aus der Zeit Nikolaus I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/380>, abgerufen am 22.07.2024.