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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Übersetzlmgskunst der Gegenwart

Dies ist die Methode, in der das späte neunzehnte Jahrhundert fremde
Dichtung übertrug. Sie sollte heute, mit dem Zurückweichen des bloß Literarischen
und einem neuen Aufschwung des Dichterischen, schwinden, tut es aber nicht. Im
Gegenteil, .es ist, als ob das endende Zeitalter noch einmal seine zerstörerischen
Kräfte in letzter Vollendung entfalten wollte. Vor einigen Jahren hat Max I. W olff
die Shakespearescheu Sonette übersetzt. In vollkommener Ausbildung, unbeirrt
durch die neuen lebendigen Kräfte, die dem feiner Wahrnehmenden schon fühlbar
werden, handhabt er jenes System der Literarisiernng. An seiner Übersetzung als
an einem unübertrefflichen Beispiel sei dieses System tabellarisch dargestellt, damit
es nicht, einmal ausgestorben, seine warnende und reinigende Kraft verliere*).
Auf gut Glück ohne Auswahl sind das zweite und dritte Shakespearesche Sonett
und ihre Übersetzung dnrch Wolff nebeneinander gestellt und verglichen:

II. Sonett.

[Beginn Spaltensatz] Shakespeare
2. du^ deaut^s kleia 6. lust^ ela^s
8. AlI-eatinZ
[Spaltenumbruch]
Wolff.
Deiner Schönheit (aus dem durch¬
geführt konkreten Bild wird durch
Weglassung von kislci eine allegorische
Redensart)

frohe Jugend (flache Poetisierung)
größte (das aktive sinnliche Bild ver¬
flüchtigt in den allernichtigsten Begriff)
leere Prahlerei (leer) in den spätsten Tagen (flach poetisch) bleibst jung (Vernüchterung) [Ende Spaltensatz]



III.

[Beginn Spaltensatz] 4. beZuile elle vvorlcl (sachlich) unblost some motker
[Spaltenumbruch]
machst aller Hoffnungen zunicht
(konventionell, bürgerlich aufgeputzt)
zerstört den Traum von Mutter¬
seligkeit (süße, geschwellte poetische
Schönrednerei, außerdem aus dem
gesehen Gegenständlichen eine nüch¬
terne, poetisch sein sollende Gefühls¬
abstraktion gemacht)
Jungfrau (Moralität)
spröder Schoß (dürftigsteBegrifflichkeit
mit einem Beiklang von Moralität)
[Ende Spaltensatz]


"I Ganz geschwiegen sei hier von den nur WM Persönlich anhaftenden sprachlichen
rtümern, die ihm z, B. ein Verbum "denen" als die Grundform zu "er denk" suggerieren,
""d von seiner grausamen Harthörigkeit, die Laute verträgt wie "seines Herz's Insassen",
"ihres Ehrgeiz's weitgestreckter Bahn". Das sind Posten von Wolffs höchst Persönlichein
Schuldkonto, die gerade die puristische Zeit, der er angehört, nicht gegen sich gelten zu lassenIrr
und
braucht
Grenzlivte" I 101070
Übersetzlmgskunst der Gegenwart

Dies ist die Methode, in der das späte neunzehnte Jahrhundert fremde
Dichtung übertrug. Sie sollte heute, mit dem Zurückweichen des bloß Literarischen
und einem neuen Aufschwung des Dichterischen, schwinden, tut es aber nicht. Im
Gegenteil, .es ist, als ob das endende Zeitalter noch einmal seine zerstörerischen
Kräfte in letzter Vollendung entfalten wollte. Vor einigen Jahren hat Max I. W olff
die Shakespearescheu Sonette übersetzt. In vollkommener Ausbildung, unbeirrt
durch die neuen lebendigen Kräfte, die dem feiner Wahrnehmenden schon fühlbar
werden, handhabt er jenes System der Literarisiernng. An seiner Übersetzung als
an einem unübertrefflichen Beispiel sei dieses System tabellarisch dargestellt, damit
es nicht, einmal ausgestorben, seine warnende und reinigende Kraft verliere*).
Auf gut Glück ohne Auswahl sind das zweite und dritte Shakespearesche Sonett
und ihre Übersetzung dnrch Wolff nebeneinander gestellt und verglichen:

II. Sonett.

[Beginn Spaltensatz] Shakespeare
2. du^ deaut^s kleia 6. lust^ ela^s
8. AlI-eatinZ
[Spaltenumbruch]
Wolff.
Deiner Schönheit (aus dem durch¬
geführt konkreten Bild wird durch
Weglassung von kislci eine allegorische
Redensart)

frohe Jugend (flache Poetisierung)
größte (das aktive sinnliche Bild ver¬
flüchtigt in den allernichtigsten Begriff)
leere Prahlerei (leer) in den spätsten Tagen (flach poetisch) bleibst jung (Vernüchterung) [Ende Spaltensatz]



III.

[Beginn Spaltensatz] 4. beZuile elle vvorlcl (sachlich) unblost some motker
[Spaltenumbruch]
machst aller Hoffnungen zunicht
(konventionell, bürgerlich aufgeputzt)
zerstört den Traum von Mutter¬
seligkeit (süße, geschwellte poetische
Schönrednerei, außerdem aus dem
gesehen Gegenständlichen eine nüch¬
terne, poetisch sein sollende Gefühls¬
abstraktion gemacht)
Jungfrau (Moralität)
spröder Schoß (dürftigsteBegrifflichkeit
mit einem Beiklang von Moralität)
[Ende Spaltensatz]


"I Ganz geschwiegen sei hier von den nur WM Persönlich anhaftenden sprachlichen
rtümern, die ihm z, B. ein Verbum „denen" als die Grundform zu „er denk" suggerieren,
"»d von seiner grausamen Harthörigkeit, die Laute verträgt wie „seines Herz's Insassen",
»ihres Ehrgeiz's weitgestreckter Bahn". Das sind Posten von Wolffs höchst Persönlichein
Schuldkonto, die gerade die puristische Zeit, der er angehört, nicht gegen sich gelten zu lassenIrr
und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/565>, abgerufen am 04.07.2024.