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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ubersetzungskunst der Gegenwart
von Berthold vallentin

!s kann nicht anders sein: Übertragung eines Dichterischen in eine
andere Zeit, ein anderes Volk lebt von deren Geist zunächst. Dieser ist
der erweckende Geist-, der zu erweckende lebt nicht stärker, als ihm
der erweckende Leben zu geben vermag. Die Romantik, Zeit kräftig
^drängender Impulse, noch dazu mit einem besonderen Antrieb,
Fremdes und Altes zu verlebendigen, überwarf ganze Strecken erstorbenen Landes
mit belebender Luft: Die Griechen und Spanier, die schattenhaften Meister des
Minnesangs und Shakespeare, alle begannen nen zu atmen unter ihren nährenden
Hauchen.

Dann ist es, als ob die Generation jede lebendige und verlebendigende Kraft
aufgebraucht hätte. Das neue Zeitalter lebt nur ein vermitteltes geistiges Leben,
ein Lebe", nicht aus Anschauung und Ergreifung des Lebendigen, sondern aus
verbegrifflichender Zergliederung und mechanischer Bewältigung der Erscheinungen.
Von da aus bestimmt sich auch sein Verhältnis zu frühem und fremdem Dichterischen,
Maß und Umfang seiner Aneignung, Art und Ton seiner Übertragung. Diese Zeit
nimmt ihren Begriff des Poetischen aus dem Literarischen, ans der allgemeinen
Bildung und Wissenschaft. Der einmalige kühne Ausdruck, die geformte Vision
einer einzigartigen Seele ist ihrem Erleben "eine dunkle Stelle" und musz in der
Übersetzung dem allgemeinen Verständnis dadurch nahegebracht werden, daß man
die sinnliche Fülle auf begriffliche Formeln abzieht, die sich zur Wirklichkeit des
Dichters verhalten wie eine kolorierte Karte zur Landschaft, eine schwungvolle
Isobare zum Sturm, ein Seismogramm zum Erdbeben. Zur Literatur gehört
anderseits das Bedürfnis, Literarisches anders, edler, gehobener, "schöner" aus¬
zudrücken als den Alltag. Daher muß auf künstlichem Wege hereingebracht
werden, was ans dem dichterischen Erlebnis als zu erdrückend oder zu eruptiv
künstlich entfernt wurde (oder nicht einmal wahrgenommen, da nur ein sonnen-
haftes, nicht ein bebrilltes Ange den unmittelbaren Strahl ertragen kaun und dem
Geiste nur der Geist erscheint). Zu diesem Zwecke werden die sachlich nackten
Stellen, die denk Dichter farbig und atmend sind, als Teile eines farbigen und
atmendeu Ganzen, die aber den von außen sehenden Geschmäckler als heraus¬
gerissene Einzelheiten mit der Farblosigkeit seiner eigenen Seele langweilen,
geschwellt, gefärbt und verkleidet. Als Surrogat des den Dichter durchlebenden
einheitlich visionären Feuers wird ein dürftiges Flämmchen abgeleiteter, unpersön¬
licher Moral angefacht.




Ubersetzungskunst der Gegenwart
von Berthold vallentin

!s kann nicht anders sein: Übertragung eines Dichterischen in eine
andere Zeit, ein anderes Volk lebt von deren Geist zunächst. Dieser ist
der erweckende Geist-, der zu erweckende lebt nicht stärker, als ihm
der erweckende Leben zu geben vermag. Die Romantik, Zeit kräftig
^drängender Impulse, noch dazu mit einem besonderen Antrieb,
Fremdes und Altes zu verlebendigen, überwarf ganze Strecken erstorbenen Landes
mit belebender Luft: Die Griechen und Spanier, die schattenhaften Meister des
Minnesangs und Shakespeare, alle begannen nen zu atmen unter ihren nährenden
Hauchen.

Dann ist es, als ob die Generation jede lebendige und verlebendigende Kraft
aufgebraucht hätte. Das neue Zeitalter lebt nur ein vermitteltes geistiges Leben,
ein Lebe», nicht aus Anschauung und Ergreifung des Lebendigen, sondern aus
verbegrifflichender Zergliederung und mechanischer Bewältigung der Erscheinungen.
Von da aus bestimmt sich auch sein Verhältnis zu frühem und fremdem Dichterischen,
Maß und Umfang seiner Aneignung, Art und Ton seiner Übertragung. Diese Zeit
nimmt ihren Begriff des Poetischen aus dem Literarischen, ans der allgemeinen
Bildung und Wissenschaft. Der einmalige kühne Ausdruck, die geformte Vision
einer einzigartigen Seele ist ihrem Erleben „eine dunkle Stelle" und musz in der
Übersetzung dem allgemeinen Verständnis dadurch nahegebracht werden, daß man
die sinnliche Fülle auf begriffliche Formeln abzieht, die sich zur Wirklichkeit des
Dichters verhalten wie eine kolorierte Karte zur Landschaft, eine schwungvolle
Isobare zum Sturm, ein Seismogramm zum Erdbeben. Zur Literatur gehört
anderseits das Bedürfnis, Literarisches anders, edler, gehobener, „schöner" aus¬
zudrücken als den Alltag. Daher muß auf künstlichem Wege hereingebracht
werden, was ans dem dichterischen Erlebnis als zu erdrückend oder zu eruptiv
künstlich entfernt wurde (oder nicht einmal wahrgenommen, da nur ein sonnen-
haftes, nicht ein bebrilltes Ange den unmittelbaren Strahl ertragen kaun und dem
Geiste nur der Geist erscheint). Zu diesem Zwecke werden die sachlich nackten
Stellen, die denk Dichter farbig und atmend sind, als Teile eines farbigen und
atmendeu Ganzen, die aber den von außen sehenden Geschmäckler als heraus¬
gerissene Einzelheiten mit der Farblosigkeit seiner eigenen Seele langweilen,
geschwellt, gefärbt und verkleidet. Als Surrogat des den Dichter durchlebenden
einheitlich visionären Feuers wird ein dürftiges Flämmchen abgeleiteter, unpersön¬
licher Moral angefacht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/564>, abgerufen am 04.07.2024.