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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet. Und das tat er auch, indem
er zum Beispiel die slowenischen Volkslieder übertrug, sich mit dem "Pfaffen
vom Kahlenberge" beschäftigte und den "Robim Hood" vorbereitete. Die Muße
wurde oft durch Badereisen unterbrochen, die seine Gesundheit verlangte.
War er früher gern in Franzensbad gewesen, so suchte er jetzt Helgoland auf,
Kissingen, Neuhaus in Steiermark, besonders aber Veldes am See in Ober-
krain; auch nach England reiste er seines Robim Hood wegen.

(Fortsetzung folgt)




Bosnien und die Herzegowina
Max Reisten Reiseeindrücke von

!"silien und die Herzegowina sind bekanntlich dem österreichisch¬
ungarischen Doppelstaat nicht offiziell einverleibt; die beiden frühern
türkischen Sandschaks sind nach dem diplomatischen Ausdruck im
Jahre 1878 von Österreich nur okkupiert worden. Ein äußeres
! Merkmal dieses interessanten völkerrechtlichen Unterschieds konnte
ich nicht entdecken', wenn man nicht die Duldung der Bilder des Sultans in
einzelnen mohammedanischen Rcisierstnben und Cafes damit erklären will. In
Wirklichkeit gehört das Land untrennbar zu Österreich-Ungarn, d. h. genau
genommen weder dem einen noch dem andern, und dieses Verhältnis wird
dem Reisenden sofort klar, wenn er eine seiner mitgebrachten österreichischen
oder ungarischen Briefmarken verwendet. Beide Sorten gelten nichts, und
damit keinen: der beiden feindlichen Brüder Unrecht geschieht, muß der Fremde
in beiden Füllen Strafe zahlen, bis er merkt, daß Bosnien seine eignen Brief¬
marken hat, wie sie unser Elsaß-Lothringen zwischen der Eroberung und der
Abtretung hatte.

Das Kondominium der zwei Staaten zeigt sich leider auch an wichtigern
Dingen, und der Dualismus, der die ganze Monarchie so schwer schädigt,
würde mit allen seinen bösen Folgen auch hier jedenfalls noch schärfer zum
Ausdruck kommen, wenn Bosnien nicht zu seinem Glück unter der einheitlichen
Militärverwaltung stünde. Der Armeekorpskommandant ist zugleich Landes¬
chef. Der schriftliche Verkehr der Behörden untereinander geschieht in deutscher
Sprache, der Verkehr der Behörden mit den nicht Eingewanderten auf Bosnisch.
Als Verkehrssprache hat sich das Deutsche schon so sehr eingeführt, daß, um
dies gleich vorauszuschicken, das Reisen für uns in dieser Beziehung an den
wichtigern Punkten keinerlei Schwierigkeiten bietet.

Unser Reichsland stand im Jahre 1870, was die durchschnittliche Kultur
und die Bevölkerungsdichtigkeit anlangte, mit den fortgeschrittensten Bundes¬
staaten auf einer Stufe und konnte nur aus politischen Gründen nicht als
Bundesstaat eingereiht werden. Dem gegenüber war Bosnien und die Herzego¬
wina im Jahre der Okkupation auf einem solchen Tiefstande der Zivilisation,
daß das Land eher als Kolonie betrachtet werden mußte, auch wenn nicht die


Bosnien und die Herzegowina

der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet. Und das tat er auch, indem
er zum Beispiel die slowenischen Volkslieder übertrug, sich mit dem „Pfaffen
vom Kahlenberge" beschäftigte und den „Robim Hood" vorbereitete. Die Muße
wurde oft durch Badereisen unterbrochen, die seine Gesundheit verlangte.
War er früher gern in Franzensbad gewesen, so suchte er jetzt Helgoland auf,
Kissingen, Neuhaus in Steiermark, besonders aber Veldes am See in Ober-
krain; auch nach England reiste er seines Robim Hood wegen.

(Fortsetzung folgt)




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Max Reisten Reiseeindrücke von

!»silien und die Herzegowina sind bekanntlich dem österreichisch¬
ungarischen Doppelstaat nicht offiziell einverleibt; die beiden frühern
türkischen Sandschaks sind nach dem diplomatischen Ausdruck im
Jahre 1878 von Österreich nur okkupiert worden. Ein äußeres
! Merkmal dieses interessanten völkerrechtlichen Unterschieds konnte
ich nicht entdecken', wenn man nicht die Duldung der Bilder des Sultans in
einzelnen mohammedanischen Rcisierstnben und Cafes damit erklären will. In
Wirklichkeit gehört das Land untrennbar zu Österreich-Ungarn, d. h. genau
genommen weder dem einen noch dem andern, und dieses Verhältnis wird
dem Reisenden sofort klar, wenn er eine seiner mitgebrachten österreichischen
oder ungarischen Briefmarken verwendet. Beide Sorten gelten nichts, und
damit keinen: der beiden feindlichen Brüder Unrecht geschieht, muß der Fremde
in beiden Füllen Strafe zahlen, bis er merkt, daß Bosnien seine eignen Brief¬
marken hat, wie sie unser Elsaß-Lothringen zwischen der Eroberung und der
Abtretung hatte.

Das Kondominium der zwei Staaten zeigt sich leider auch an wichtigern
Dingen, und der Dualismus, der die ganze Monarchie so schwer schädigt,
würde mit allen seinen bösen Folgen auch hier jedenfalls noch schärfer zum
Ausdruck kommen, wenn Bosnien nicht zu seinem Glück unter der einheitlichen
Militärverwaltung stünde. Der Armeekorpskommandant ist zugleich Landes¬
chef. Der schriftliche Verkehr der Behörden untereinander geschieht in deutscher
Sprache, der Verkehr der Behörden mit den nicht Eingewanderten auf Bosnisch.
Als Verkehrssprache hat sich das Deutsche schon so sehr eingeführt, daß, um
dies gleich vorauszuschicken, das Reisen für uns in dieser Beziehung an den
wichtigern Punkten keinerlei Schwierigkeiten bietet.

Unser Reichsland stand im Jahre 1870, was die durchschnittliche Kultur
und die Bevölkerungsdichtigkeit anlangte, mit den fortgeschrittensten Bundes¬
staaten auf einer Stufe und konnte nur aus politischen Gründen nicht als
Bundesstaat eingereiht werden. Dem gegenüber war Bosnien und die Herzego¬
wina im Jahre der Okkupation auf einem solchen Tiefstande der Zivilisation,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/30>, abgerufen am 27.06.2024.