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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Aaufleute im Rciiserhof

diese Rose hat viel Dornen. Der einfachste und natürlichste Fall ist, daß
mehr Leute so denken wie ich, und daß mich ihre Menge in meinem einfachen
bürgerlichen Behagen stört. Es ist aber noch der beste Fall. Minder leicht
ist die parasitische Dornenentwicklung der Stammgäste zu ertragen, die guter
Wein oder alte Gewohnheit an das obere Ende des Speisetisches zieht, wo
sie ihr Kartenspiel mit Faustschlägen auf den Tisch begleiten, überhaupt sich
mit einer Ungenirtheit benehmen, die ich nicht nachahmen könnte, wenn ich
wollte. So kämpft das deutsche Gasthaus den ungleichen Kampf mit dem
Triukhaus, in dem es vielleicht nur dann nicht unterliegt, wenn ihm Fremde ohne
"Trinksitten" zu Hilfe kommen. Ich komme in ein ländliches Gasthaus, das
wunderschön am Eingang eines vielbesuchten Parkes liegt. Er ist wie gemacht
zum ruhigen Aufenthalt. Ich bin erstaunt, das als trefflich gerühmte Haus
in Unordnung zu finden. Zimmerschlüssel verlegt, Zimmer nicht gelüftet usw.:
die bekannten Übel. Der Wirt entschuldigt sich mit drei Berliner Bankiers,
die gestern abend gekommen und bis heute früh um fünf bei mehreren üppigen
Booten sitzen geblieben sind. "Hoffentlich haben Sie die Herren ruhig trinken
lassen und sie einem Kellner übergeben!" -- "Wo denken Sie hin? Ich
mußte aufbleiben, deun da handelte es sich um feinste Sorten. Nein, ich war
der letzte." Und heute, es ist Sonntag, hat dieser Mann sein Haus voll
Gäste, die alle seine Aufmerksamkeit heischen. "Wie können Sie das?" -- "Man
muß! Das ist die ganze Kunst. Diese paar Sommermonate sind unser Ge¬
schäft, da heißt es, alle Nerven anstrengen, im Winter ruhen wir wie die
Dachse." Dabei kann natürlich das Haus nicht in Ordnung kommen. Der
Mann wird im besten Fall ein paar Jahre früher Privatier, aber als Gast¬
wirt bleibt er ein Stümper.




Die Kaufleute im Kaiserhof

cum diese Zeilen durch die Druckerpresse gehen, versammeln sich
Hunderte durch geschäftliche Tüchtigkeit, Erfolge und Erfahrungen
ausgezeichnete Kaufleute und Fabrikanten aus allen Teilen
Deutschlands in der Reichshauptstadt zu einer Kundgebung für
die Vermehrung der deutschen Kriegsflotte. Man kaun den Wert
solcher Versammlungen und "Kundgebungen" im allgemeinen so hoch oder so
gering anschlagen, wie man will -- ich halte unter Hunderten kaum eine für
der Rede wert --, diese Versammlung und diese Kundgebung scheint doch eine
besondre Beachtung zu beanspruchen, sowohl der Sache wegen, der sie gilt,MW


Die Aaufleute im Rciiserhof

diese Rose hat viel Dornen. Der einfachste und natürlichste Fall ist, daß
mehr Leute so denken wie ich, und daß mich ihre Menge in meinem einfachen
bürgerlichen Behagen stört. Es ist aber noch der beste Fall. Minder leicht
ist die parasitische Dornenentwicklung der Stammgäste zu ertragen, die guter
Wein oder alte Gewohnheit an das obere Ende des Speisetisches zieht, wo
sie ihr Kartenspiel mit Faustschlägen auf den Tisch begleiten, überhaupt sich
mit einer Ungenirtheit benehmen, die ich nicht nachahmen könnte, wenn ich
wollte. So kämpft das deutsche Gasthaus den ungleichen Kampf mit dem
Triukhaus, in dem es vielleicht nur dann nicht unterliegt, wenn ihm Fremde ohne
„Trinksitten" zu Hilfe kommen. Ich komme in ein ländliches Gasthaus, das
wunderschön am Eingang eines vielbesuchten Parkes liegt. Er ist wie gemacht
zum ruhigen Aufenthalt. Ich bin erstaunt, das als trefflich gerühmte Haus
in Unordnung zu finden. Zimmerschlüssel verlegt, Zimmer nicht gelüftet usw.:
die bekannten Übel. Der Wirt entschuldigt sich mit drei Berliner Bankiers,
die gestern abend gekommen und bis heute früh um fünf bei mehreren üppigen
Booten sitzen geblieben sind. „Hoffentlich haben Sie die Herren ruhig trinken
lassen und sie einem Kellner übergeben!" — „Wo denken Sie hin? Ich
mußte aufbleiben, deun da handelte es sich um feinste Sorten. Nein, ich war
der letzte." Und heute, es ist Sonntag, hat dieser Mann sein Haus voll
Gäste, die alle seine Aufmerksamkeit heischen. „Wie können Sie das?" — „Man
muß! Das ist die ganze Kunst. Diese paar Sommermonate sind unser Ge¬
schäft, da heißt es, alle Nerven anstrengen, im Winter ruhen wir wie die
Dachse." Dabei kann natürlich das Haus nicht in Ordnung kommen. Der
Mann wird im besten Fall ein paar Jahre früher Privatier, aber als Gast¬
wirt bleibt er ein Stümper.




Die Kaufleute im Kaiserhof

cum diese Zeilen durch die Druckerpresse gehen, versammeln sich
Hunderte durch geschäftliche Tüchtigkeit, Erfolge und Erfahrungen
ausgezeichnete Kaufleute und Fabrikanten aus allen Teilen
Deutschlands in der Reichshauptstadt zu einer Kundgebung für
die Vermehrung der deutschen Kriegsflotte. Man kaun den Wert
solcher Versammlungen und „Kundgebungen" im allgemeinen so hoch oder so
gering anschlagen, wie man will — ich halte unter Hunderten kaum eine für
der Rede wert —, diese Versammlung und diese Kundgebung scheint doch eine
besondre Beachtung zu beanspruchen, sowohl der Sache wegen, der sie gilt,MW


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/104>, abgerufen am 05.01.2025.